Sonntag, 11. Juni 2023

Dead Boys - Young, Loud and Snotty

 

Dead Boys – Young, Loud and Snotty

Sire Records 1977

Mit dem US-Punk war das so eine Sache. Die Urahnen des Punks stammten alle aus den Staaten: Iggy Pop, Lou Reed oder die MC5. Die erste richtige Punk-Band, die Ramones, kamen ebenso aus New York City wie das namensgebende Magazin. Und als Punk groß wurde, 1976 und 77, übernahmen plötzlich die Engländer: Die Sex Pistols, The Damned oder The Clash. Und zwei Dutzend andere aus dem United Kingdom. Und in den USA firmierten plötzlich Bands als Punk, nur weil sie im New Yorker CBGB-Club auftraten. Allerdings trennten Television, Blondie oder die Talking Heads musikalisch Welten von den Ramones.

In der großen Welle des Punks schwammen eigentlich nur zwei US-Bands richtig mit: Die Heartbreakers von Johnny Thunders, als ehemaliger Gitarrist der New York Dolls bereits vorbelastet, und eben die Dead Boys aus Cleveland. Vielleicht lag es an ihrer im Niedergang befindlichen Heimatstadt, aber die Dead Boys waren lauter, roher und aggressiver als der Rest jenseits des Großen Teichs. Aus der Resten der Lokalband Rocket from the Tombs entstanden die Dead Boys auf der einen Seite und David Thomas formte auf der musikalisch gänzlich anderen Seite des Jahres 1975 Pere Ubu.

Joey Ramone selbst überredete die Dead Boys zur Übersiedlung nach NYC. Bald machten sie sich im CBGB einen Namen als die Band mit der wildesten Bühnenshow, bei der auch regelmäßig Blut floss.  Glasscherben-Freund Iggy Pop ließ grüßen und Club-Besitzer Hilly Kristal übernahm persönlich den Job als ihr Manager. Kristal kam dann mit der halbberühmten, fast 40-jährigen Genya Ravan als Produzentin, was der Band anfangs gar nicht schmeckte. Doch Ravan schaffte es, die rohe Energie der Bühnenauftritte einigermaßen in den Promo-Bändern einzufangen, und Sire Records sagte zu den Tapes: Okay, gehen wir doch gleich ins Presswerk. Der Albumtitel „Young, loud and snotty“ ist jedenfalls mehr als berechtigt, denn die Dead Boys waren alles im Übermaß.

Sie eröffneten das Album mit ihrem nach wie vor besten Titel, „Sonic Reducer“. Zuerst hört man noch ihre frühen Erfahrungen im Glam-Rock, doch aus dem ganzen Hall der ersten 15 Sekunden schält sich ein klassisches, treibendes Punk-Riff.  AllMusic bezeichnete den Song als „one of punk´s great anthems“. Stiv Bators macht klar, dass er Johnny Rotten den Titel als rotzigster Sänger der Welt in einem einzigen Song abnehmen will. Spätestens mit dem zweiten Track „All this and more“(„All this and more, little girl, how about on the floor, little girl”) ist dieser Anspruch gerechtfertigt.  

In den folgenden acht Tracks lässt die Band nur wenig nach. Mit „Hey Little Girl“ (ja, schon wieder) bringen sie sogar einen mittleren 60s-Hit als Live-Track aus dem CBGB. Direkt danach deklamiert Bators: „I need lunch“. Das hört sich so an: “I don’t need your company, girls like you all come for free, I don’t really want to dance, girl, I just want to get in your pants.” Noch Fragen?

Ein knappes Jahr später folgte ein zweites Album, bei dem sie ausgerechnet Felix Pappalardi, den Jack Bruce von Mountain, als Produzenten vorgesetzt bekamen. Fast logischerweise war dies das Ende der Dead Boys und Sänger Stiv Bators versuchte mit Resten von Sham 69 den Gothic Rock, wohl zehn Jahre zu früh, neu zu erfinden. Danach kam er unter ein Taxi in Paris. Ich spare mir den Witz mit den Dead Boys. Oder auch nur halb.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ambrosia - s/t

  Ambrosia – s/t 20 th  Century Records 1975 Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Nu...