Ambrosia – s/t
20th Century Records 1975
Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Numbers“ auf meinem Plattenteller, Bob Seger gab sich als „Beautiful Loser“ und dann galoppierte auch noch Patti Smith mit ihren „Horses“ heran und übernahm die Herrschaft. Synthesizer kamen, wenn sie denn kommen mussten, von Keith Emerson und das war genug.
Gekauft hätte ich mir ein Album von „Ambrosia“ also nicht, aber jemand ohne Ahnung von moderner Musik schenkte es mir. Und dieses Debutalbum einer unbekannten und ungewollten amerikanischen Band hielt sich von dort bis jetzt auf meinem Plattenteller. Der Hauptgrund ist der gleiche wie – fast – immer: Die erste Seite der LP enthält vier Songs mit mindestens sechs großartigen Melodien und die zweite Seite ist nur ein wenig weniger faszinierend. Und wenn eine Band ihren Song „Time waits for no one“ mit einer Fußnote versieht, in der steht: „With Love and Gratis to Maestro L. Bernstein“, dann haben sie bei mir Extra-Sympathiepunkte.
Ambrosia spielten auf ihrem ersten Album, was man als amerikanische Antwort auf King Crimson und Yes erwarten konnte. Immerhin wurden sie auch von einem gewissen Zubin Mehta entdeckt, da spielt man nicht räudigen Garagen-Rock. Also wechseln die Takte, türmen sich die Synthesizer-Linien übereinander, fallweise ertönt eine Balalaika und darüber schwebt weicher Gesang, auch gerne mehrstimmig nach kalifonischem Vorbild á la CSN + Y. Hin und wieder zeigt eine Gitarre, dass hinter Progressive das Hauptwort noch immer „Rock“ lautet. Dazu ein paar Takte Jazz, ein paar funky Bläsersätze und 300 Jahre alte Gongs aus Java dürfen natürlich auch nicht fehlen. Dennoch alles nahezu radiotauglich, so eingängig ist es. Als Engineer für den Mix agierte Alan Parsons, bevor er selbst als Musiker berühmt wurde, also ist alles perfekt in Szene gesetzt. Die vier Jungs von Ambrosia spielten dafür alle auf seinem „Tales of Mystery and Imagination“ mit.
Wenn mir Yes damals ihre „Tales from Topographic Oceans“ erzählen wollten oder Rick Wakeman alle sechs Frauen von Henry VIII hintereinander aufmarschieren ließ, wurde mir schnell langweilig. Bei Ambrosia niemals. Der längste Song ist 6:29min und in allen finden sich genug zündende Melodien, genug Hooklines, genug überraschende Ideen, dass ich die LP gerne noch einmal auflegte. Daran hat sich – außer der deutlich vergrößerten Auswahl in meinem Plattenschrank – auch nach fast 50 Jahren nichts geändert.