Mittwoch, 24. Januar 2024

Ambrosia - s/t

 

Ambrosia – s/t

20th Century Records 1975

Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Numbers“ auf meinem Plattenteller, Bob Seger gab sich als „Beautiful Loser“ und dann galoppierte auch noch Patti Smith mit ihren „Horses“ heran und übernahm die Herrschaft. Synthesizer kamen, wenn sie denn kommen mussten, von Keith Emerson und das war genug.

Gekauft hätte ich mir ein Album von „Ambrosia“ also nicht, aber jemand ohne Ahnung von moderner Musik schenkte es mir. Und dieses Debutalbum einer unbekannten und ungewollten amerikanischen Band hielt sich von dort bis jetzt auf meinem Plattenteller. Der Hauptgrund ist der gleiche wie – fast – immer: Die erste Seite der LP enthält vier Songs mit mindestens sechs großartigen Melodien und die zweite Seite ist nur ein wenig weniger faszinierend. Und wenn eine Band ihren Song „Time waits for no one“ mit einer Fußnote versieht, in der steht: „With Love and Gratis to Maestro L. Bernstein“, dann haben sie bei mir Extra-Sympathiepunkte.

Ambrosia spielten auf ihrem ersten Album, was man als amerikanische Antwort auf King Crimson und Yes erwarten konnte. Immerhin wurden sie auch von einem gewissen Zubin Mehta entdeckt, da spielt man nicht räudigen Garagen-Rock. Also wechseln die Takte, türmen sich die Synthesizer-Linien übereinander, fallweise ertönt eine Balalaika und darüber schwebt weicher Gesang, auch gerne mehrstimmig nach kalifonischem Vorbild á la CSN + Y. Hin und wieder zeigt eine Gitarre, dass hinter Progressive das Hauptwort noch immer „Rock“ lautet. Dazu ein paar Takte Jazz, ein paar funky Bläsersätze und 300 Jahre alte Gongs aus Java dürfen natürlich auch nicht fehlen. Dennoch alles nahezu radiotauglich, so eingängig ist es. Als Engineer für den Mix agierte Alan Parsons, bevor er selbst als Musiker berühmt wurde, also ist alles perfekt in Szene gesetzt. Die vier Jungs von Ambrosia spielten dafür alle auf seinem „Tales of Mystery and Imagination“ mit.

Wenn mir Yes damals ihre „Tales from Topographic Oceans“ erzählen wollten oder Rick Wakeman alle sechs Frauen von Henry VIII hintereinander aufmarschieren ließ, wurde mir schnell langweilig. Bei Ambrosia niemals. Der längste Song ist 6:29min und in allen finden sich genug zündende Melodien, genug Hooklines, genug überraschende Ideen, dass ich die LP gerne noch einmal auflegte. Daran hat sich – außer der deutlich vergrößerten Auswahl in meinem Plattenschrank – auch nach fast 50 Jahren nichts geändert.

Montag, 8. Januar 2024

Any Trouble - Where are all the nice girls?

 


Stiff Records 1980

Sie spielten seit 1974 Cover-Songs von Bob Dylan, The Band oder amerikanische Rock´n´Roll-Standards. Im Nordwesten von England. Die Punk-Welle machte ihnen klar, dass sie plötzlich ziemlich altbacken klangen und dass man nicht Dylan sein musste, um Songs selbst zu schreiben.

Ihr Gitarrist und Sänger Clive Gregson verfasste „Yesterday´s love“, und siehe da, die BBC spielte den Song. Plattenfirmen interessierten sich plötzlich für Any Trouble, aber sie gingen natürlich zu Stiff Records. Wohin auch sonst, wenn der Frontmann eine schwarze Hornbrille trägt? Gregson erinnerte nicht nur optisch an Elvis Costello, sie klangen auch ähnlich.

Ihr Debut „Where are all the nice girls?” ist ein Album mit zeitlosem Gitarren-Rock, hie und da ein wenig Ska und ganz zart ein paar Tupfer New Wave. Manche Songs Uptempo, aber auch einige Balladen. Aber vor allem ist es ein Album voll mit Hooklines. Es schwelgt in den Melodien, haut einen eingängigen Refrain nach dem nächsten hinaus, ohne jemals platt zu werden.

Routinier John Wood mit Erfahrung von Fairport Convention über Cat Stevens bis zu Pink Floyd produzierte zurückhaltend und ohne Keyboard-Firlefanz. Zwei fallweise eingesetzte Background-Sängerinnen waren die einzige Ergänzung zum Sound zuhause im Local Pub. Die Qualität der Songs sprach für sich selbst und der Melody Maker urteilte völlig zurecht: „ Best Stiff album since Elvis Costello´s My Aim Is True”. Leider verkaufte es sich nicht wie “My Aim Is True”.

Fünf weitere Alben folgten im Lauf der nächsten 35 Jahre, aber keines erreichte nur annähernd die Dichte an zündenden Refrains und frischem, unbekümmertem Rock. Aber „Where are all the nice girls?“ bleibt. AllMusic urteilt mit dem Abstand von Jahrzehnten: “Still sounds fresh, engaging and exciting, packed with sharp tunes and clever observations.”

Ambrosia - s/t

  Ambrosia – s/t 20 th  Century Records 1975 Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Nu...