Montag, 14. März 2022

Noir Désir - Tostaky

 

Noir Désir – Tostaky

Barclay 1992

Für eine der größten Kulturnationen der Welt hat Frankreich in Sachen Rockmusik noch deutlich Luft nach oben. Ja, viel kommt da nicht spontan, wenn man den Satz liest, oder? Je nach Alter und Verfasstheit vielleicht Johnny Hallyday, Magma, Le Rita Mitsouko, Mano Negra oder zuletzt Christine and The Queens. Nicht besonders beeindruckend für eine Nation mit de Balzac, Moliere, Proust, Baudelaire oder zuletzt Houellebecq, Liste je nach Geschmack mit den nächsten 100 Namen zu ergänzen – vervollständigen wäre als Wort hier eine Zumutung.

Ein Grund liegt sicher in der noch fast durchgängigen Weigerung, in einer anderen als der eigenen Sprache zu singen. Ein wenig davon abgewichen sind Noir Désir (schwarze Begierde), eine 1987 gegründete Band aus Bordeaux, die zumindest manche Songs auf Englisch verfasste. Zuweilen streuten sie auch nur einzelne englische Zeilen ein, wenn sie gegen Faschismus, Kapitalismus, Globalisierung oder Gewalt (zum letzteren noch später) ansangen.

In 14 Jahren ihres Bestehens veröffentlichten sie sechs Studioalben und wurden damit weltberühmt in Frankreich, ein wenig vielleicht noch in der einen Hälfte von Belgien. Musikalisch wären sie heute im Alternative Rock zu verorten, Sub-Abteilung Grunge, aber mit Einflüssen von arabischer Musik über Elektronik bis zum Chanson. Ohne geht es wohl nicht.

„Tostaky“ ist ihr viertes Album, einige Monate nach „Nevermind“ erschienen. Sänger Bertrand Cantat nahm ein Jahr Auszeit, schrieb neue Songs, und der Rest der Band hörte in der Zwischenzeit Fugazi und Sonic Youth. Von Fugazi holten sie sich auch gleich den Produzenten des ersten Albums, Ted Niceley.

Heraus kam französischer Grunge, manchmal im Leise-Laut-Schema, manchmal mit punkbeeinflussten Ausbrüchen, manchmal lyrisch-ruhig. Stellenweise entwickelten sie aber eine Wucht und Gewalt, dass sich berühmtere Kollegen in Seattle anhalten mussten.

Es blieb ihr druckvollstes, konsistentestes und bestes Album, wenngleich sie auf ihrem letzten Werk mit „Le vent nous portera“ 2001 noch einen kleinen, extrem entspannten Indie-Hit landeten. Doch zwei Jahre später kam es zwischen Cantat und seiner Partnerin, der Schauspielerin Marie Trintignant, in einem litauischen Hotelzimmer zu einer Eifersuchts-Auseinandersetzung, bei der ihr Cantat so brutal gegen den Kopf schlug, dass sie einen Tag später im Krankenhaus verstarb. Soweit zum Thema Texte gegen Gewalt.




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