Niagara – Religion
Polydor 1990
Ehrenrettungsversuch für den französischen Rock – Teil 2. Netterweise im Alphabet knapp neben Noir Désir. Niagara sind ein 1984 in Rennes gegründetes Duo, bestehend aus Muriel Laporte (Gesang und Texte) und Daniel Chevenez (mehr oder weniger der Rest). Namensgeber war der Marilyn-Monroe-Film, aus dem sich Laporte auch gleich eine ihrer Haarfarben entlehnte.
Das Ganze erinnert ein wenig an die Eurythmics; die Schöne und das ungeheuer – im Hintergrund bleibende Mannsbild. So wie die berühmten Briten stehen sie mit einem Bein im Pop. Die ersten beiden Alben fallen wohl noch unter Synth-Pop, doch im dritten Album „Religion“ wandeln sich die Franzosen, und das zweite Bein macht einen heftigen Sprung in Richtung Hard-Rock, gleichzeitig aber auch einen Schritt Richtung Soul und Funk. Anatomisch schwieriger als musikalisch, wie sie gleich zu Beginn beweisen.
In „Le ciel s´est déchiré” setzt Chevenez nach fünf Sekunden Elektronik-Geschwurbel ein extra-lässiges Gitarrenriff hin, vier Takte später fahren die Bläser, Marke Stax Records – extra scharf, hinein und Laporte gibt die Motorradrocker-Braut. Und im anschließenden „J´ai vu“ lässt Chevenez noch ein breitbeiniges Mörderriff heraus, kontrastiert dieses aber mit Mundharmonika (remember „Missionary Man“ der Eurythmics?), Slide-Gitarre und einer Booker T.-Orgel. Das Ganze geht ab wie eine Horde Bisons, nachdem sie den Waldbrand gerochen haben. Merke: Viel Gras lassen die nicht stehen. Aber Vorsicht: Falls man sich das Video ansieht, könnte man durchaus von der Musik abgelenkt sein…
Allein diese ersten beiden Songs haben mehr als viele bekanntere Bands in ihrer ganzen Karriere zusammengebracht haben – nur dass Niagara das Niveau stellenweise halten können. Chevenez produzierte selbst, geradeaus und druckvoll. Im vierten Track zeigen sie, dass sie auch Gefühlvolleres im Repertoire haben, da duftet sogar das „Herbe écrasée“, das zerkleinerte Gras.
Das Album ging bis auf Platz 17 der französischen Charts und auch einige Leute im französischsprachigen Teil von Kanada waren anlässlich einer Tour so begeistert, dass ihnen ein US-Plattenvertrag angeboten wurde. Die Bedingung war aber, dass künftig in Englisch gesungen werden müsste. Niagara machte noch für ein viertes, fast ebenso gutes Album in ihrer Muttersprache weiter. Womit wir wieder am Anfang wären, warum es so wenige bekannte französische Rock-Acts gibt…
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