Scritti Politti – Songs to Remember
Rough Trade 1982
Paul Julian Strohmayer – natürlich ein echter Waliser – hörte 1977 mit einigen seiner Studienkollegen an ihrer Uni in Leeds ein Konzert der Sex Pistols. Vier von ihnen beschlossen darauf, eine Band zu gründen. Strohmayer, ein überzeugter Marxist, änderte seinen eigenen Namen auf Green Gartside und veränderte auch gleich den Namen seines Antonio Gramsci-Lieblingsbuchs von „Scritti Politici“ zu Scritti Politti. Ganz im Stil von „Tutti Frutti“, wie er später ausführte, denn nun waren sie im Rock-n´Roll. Tatsächlich spielten sie mit klar überschaubarem Erfolg Post-Punk etwa im Stil der Swell Maps.
Immerhin schafften sie es ins Vorprogramm der Vorzeige-Marxisten Gang of Four und Gartside schaffte es dabei, auf offener Bühne zu kollabieren. In der darauffolgenden neunmonatigen Auszeit begann er Disco, Funk und Soul zu hören und dachte neu nach.
Er kam, wie er später in einem Interview angab, zur Erkenntnis, dass „man nicht lobotomisiert sein muss, um Pop-Musik zu machen“. Jedenfalls sei er „scheiss-gelangweilt gewesen von dem Lärm“, den die frühen Scritti Politti produzierten. Die noch verbliebenen beiden anderen Bandmitglieder fanden das nicht übermäßig lustig und verabschiedeten sich mit der Zeit.
Gartside schrieb neue Songs, die seinen veränderten Ansprüchen entsprachen. Textlich distanzierte er sich vom strikten Marxismus und wandte sich stärker der dekonstruktivistischen Philosophie von Jacques Derrida zu, dem er einen eigenen Song widmete. Er baute aber ebenso eine Referenz zu Wittgenstein ein wie er Percy Bysshe Shelley zitierte. Er erlaubte sich sogar eine Annäherung an das „süßeste Mädchen der Welt“, wenn er auch angeblich mehr das Klischee meinte. Doch selbst glühende Marxisten können sich wohl verlieben.
Die Studio-Arbeit für das erste Album dauerte lange, auch weil immer wieder neue Gäste integriert wurden. 1991 war Gartside fertig, brachte die erste Single „Sweetest Girl heraus“ und ging zurück ins Studio, um die Musik wieder zu überarbeiten. Robert Wyatt half dabei aus. Ein Jahr später kam das Album endlich heraus und tatsächlich war es ein Pop-Album. „Songs to remember“ ist Intellektuellen-Pop, ja, aber mit Post-Punk-Erdung, und vor allem mit viel Liebe zu Blue-Eyed-Soul, Funk und Reggae. Gartside vollzog eine ähnliche Entwicklung wie Paul Weller, als er The Jam stilllegte und mit Style Council weitermachte.
„Sweetest Girl“, die erste Single und der letzte Song auf der LP, ist ein Song für die Ewigkeit. Gartsides sanfte, helle Stimme passt wunderbar zum zarten Synthie-Pop. Madness, nicht gerade einer der übelsten Bands des Planeten, coverten den Song später, erreichten aber bei weitem nicht den Charme und Zauber des Originals.
Die beiden anderen Singles des Albums, „Faithless“ und „Asylums in Jerusalem/Jacques Derrida“ sind kaum schwächer. Die Cover der drei Singles zitierten die Optik von Dior, Dunhill und Courvoisier. Auch ein weites Stück Weg für einen Marxisten.
„Songs to remember“ als Titel ist ein formulierter Anspruch. Green Gartside erfüllt ihn dank der großartigen, zeitlosen Melodien und der ungewöhnlichen Texte mit Leichtigkeit. Er ging in Folge in die USA, um für das nächste Album mit Atlantic-Records-Hausproduzent Arif Mardin auf sein nächstes Ziel hinzuarbeiten: Pray like Aretha Franklin.
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