Mittwoch, 9. März 2022

Wire - Send

 


Pinkflag 2003

Und schon muss ich meinem eigenen Titel untreu werden: Ein Wire-Album  kann natürlich kein unentdecktes Meisterwerk sein, doch „Send“ fand bei weitem nicht den verdienten Ruhm . Die ersten drei Alben verschafften Wire Ende der 70er für immer eine Luxus-Suite im Rock-Olymp. An ihrem eigenen Standard gemessen liessen sie aber in Folge etwas nach, auch wenn ihnen „Kidney Bingos“ 1988 zu einem kleinen Indie-Hit verhalf.

Dann kam Grunge, dann kam Alternative-Rock und mit ihnen kam offenbar die Motivation zurück. Sie brachten drei EP unter dem Titel „Read and Burn“ heraus und der Nukleus von „Send“ stand. Sie hätten die EPs besser „Read and Learn“ benannt, denn der informelle Untertitel des Albums lautete: All die Jungspunde machen ja nette Musik, aber wir sind Wire. Hier regieren wir. Wann und solange wir wollen.

Sie brauchen ungefähr fünf Sekunden, um diesen Anspruch unantastbar zu machen. Robert Gotobed packt sein Maschinengewehr-Schlagzeug aus und ein Riff der Marke „Breitbandkino“ macht den Rest platt. „In the art of stopping“ lautet der Frontalangriff, doch gestoppt wird natürlich nicht. Nach 3 Min 33 Sek kann man kurz Atem holen und man begreift, dass soeben Härte und Präzision in der Rockmusik neu definiert wurden.  „Trust me“ ruft einem Colin Newman in „Mr. Marx´s Table“ noch nach, aber wer würde das nicht. In „Being Watched“ sägt sich ein Riff durch den Song, das beweist, dass drei Töne reichen – wenn es die richtigen sind und wenn man die schärfste Gitarre jenseits von Andy Gill spielt. „You are the audience, you are the star“ und einige fiese Voyeur-Zeilen umspielen den Hörer.

Für Wire wird so eine Grosstat genutzt, um kurz Schwung holen:  Im vierten Track definieren sie auch noch Geschwindigkeit in der Rockmusik neu. „It´s coming fast, it´s the comet“ und sie übertreiben keineswegs. Der Refrain zeigt ihren britischen Humor „And the chorus goes ba-ba-ba-ba-ba-bang“.  „The Agfers of Kodack“ wird wieder von einem sägenden Riff getragen und breitet eine Dystopie aus: „The odds on survival grow shorter and shorter“. „Nice Streets above“ gönnt dem Hörer dann leichtes Verschnaufen, bis „Spent“ einem wieder mit voller Aggressivität entgegenschlägt. „Rancid battery asset – fuel for dirty minds“. Ein Song wie ein Strassenköter, der nicht knurrt, sondern sich sofort verbeisst und nicht mehr loslässt. Dann „Read and Burn“ mit vier hypnotischen Zeilen: They can, they might, they can, they will“.

„You can´t leave now“ ist dann atmosphärisch wie die Tracks auf „154“ und bietet zart-romantische Textzeilen wie „The dogs wait in the street – sensing fresh meat, it´s time they were fed – even though you are as good as dead“. „Half eaten“ warnt bereits 2003 eindrucksvoll vor der Klima-Katastrophe, kann aber mit den bisherigen Songs nicht ganz mithalten. Mit „99.9“ lassen sie das Album langsamer ausklingen. Wenn Ambient je beunruhigend klingen kann, dann hier. „The road ahead looks quite uncertain“

Nicht für Wire. Sie produzierten in Folge noch weitere grossartige Alben wie „Object 47“, aber „Send“ steht mit seiner Wucht und Brutalität wie ein Monolith in der Landschaft. Das Publikum kniet davor und raunt “Verzeiht, ihr Götter, falls ich jemals an Euch gezweifelt haben sollte“.




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