Donnerstag, 23. Juni 2022

Material - One Down

 

Material – One Down

Celluloid/Elektra 1982

80er-Jahre-Disco trifft Free-Jazz trifft Funk trifft Avantgarde-Rock. So in etwa könnte man den Sound von Material zusammenfassen.

Und das alles wurde gespielt von hervorragenden Musikern. 1979 gegründet, wurde Material bald zur Begleitband für den Psych-Rocker Daevid Allen (Gong) und fungierte dann als Hauscombo des New Yorker No-Wave-Labels Celluloid. Später arbeitete Keyboarder Michael Beinhorn mit den Red Hot Chili Peppers oder Hole, Fred Maher und Robert Quine wechselten unter anderem zu Lou Reed. Bandleader und Bassist Bill Laswell sollte im weiteren Verlauf mit so unterschiedlichen Musikern wie Herbie Hancock, Iggy Pop, George Clinton, Brian Eno, Mick Jagger oder Motörhead zusammenarbeiten.

Sein Werk stand immer unter dem Motto „Collision Music“, was er mit dem Satz „Nothing is true, everything is permitted“ verdeutlichte.  So brachte er später den Rapper Afrika Bambaata mit John Lydon aka Johnny Rotten zusammen.

Auf „One down“ eröffnet die göttliche Nona Hendryx, die vorher mit Patti LaBelle in deren gleichnamiger Soul/R+B-Gruppe sang. Auf „I´m the one“ zupft Nile Rodgers entspannt eines seiner typischen Disco-Riffs, während im nächsten Track „Time out“ Avantgarde-Jazz-Rocker Fred Frith mit einem seiner exzentrischen Gitarren-Soli den Kontrapunkt zu den Vocoder-Vocals setzt. Später, beim Song „Memories“ des Soft Machine-Bassisten Hugh Hopper, gibt die blutjunge Whitney Houston ihr Plattendebut und Free Jazzer Archie Shepp bläst dazu das Tenor Saxofon. So geht Cross-Over.

Gegenüber den ersten Veröffentlichungen der Band wirkt „One Down“ zugänglicher und fast schon Disco-geeignet. Kurz zuvor hatte man das wunderbare und ebenfalls eingängige „Bustin´out“ auf EP herausgebracht, das auf der CD-Veröffentlichung als Bonus-Track enthalten ist. Das Album klingt heute natürlich nicht mehr so innovativ wie 1982, aber manches hier Gehörte ist später in den musikalischen Mainstream aufgenommen worden. Laswell hatte schon vorher auf Herbie Hancocks „Future Shock“ gezeigt, in welche Richtung es gehen kann – siehe „Rock it“. Hier lebte er es voll aus.

Samstag, 11. Juni 2022

Martin Newell - The Greatest Living Englishman

 

Martin Newell – The Greatest Living Englishman

Humbug Records 1992

Ich gehe einmal davon aus, dass jemandem, der einen Blog über unbekannte Rockmusik liest, XTC ein Begriff ist. Sollte sich jemand aber aus den Weiten des World Wide Web hierher unbeabsichtigt verirrt haben, XTC sind seit ihrer Debut-EP 1977 eine der besten Bands dieses Planeten, und gemeinsam mit Wire vermutlich die beste kommerziell nicht erfolgreiche. Bei eingehender Analyse ist diese Behauptung vermutlich nur bedingt haltbar, weil zu erweitern, aber egal – sie erfüllt den Zweck. Jedenfalls schrieben Andy Partridge und Colin Moulding als große Beatles-Verehrer Songs mit ähnlicher Eingängigkeit wie die „Fab Four“, nur dass sie musikalisch in der New Wave sozialisiert wurden und besser singen konnten als John Lennon. Was zugegeben eine niedrige Hürde darstellt.

Falls es noch nicht richtig herausgekommen ist, die Beatles halte ich für eher verzichtbar, XTC hingegen keinesfalls. Wenn Paul McCartney einen Song wie „All you pretty girls“ komponiert und unter seinem Namen herausgebracht hätte, würde ihm dank dieses Refrains seit einiger Zeit jede einzelne schottische Insel gehören. Stattdessen sitzt Andy Partridge weiter in seinem Reihenhaus in Swindon und überlegt, womit er weiter seine Rechnungen zahlen soll.  Jedenfalls haben XTC fünf ihrer Alben unter den besten 3000 Musikalben aller Zeit (laut Meta-Besten-Liste AcclaimedMusic) – fast so viele wie die Beatles.

Eigentlich geht es aber um Martin Newell – einen englischen Poeten, Kolumnisten und Frontman der Gitarrenpop-Band Cleaners from Venus aus den 80er-Jahren, die erst recht niemand kennt. Er begab sich Anfang der 90er-Jahre auf Solo-Pfade und fand Andy Partridge, der Leute produzieren wollte, die ähnlich dachten wie er selbst. Das Album „The Greatest Living Englishman“ wurde 1992 in Partridges Schuppen mit einem Budget von 12.000 Pfund eingespielt, das Vierfache von dem, was Newell normalerweise aufbringen konnte. XTC-Mitglied Dave Gregory schaute öfter vorbei und auch Captain Sensible leistete einen Beitrag. Partridge experimentierte mit seinem ersten Macintosh-Computer und übernahm die Drums auf einem Yamaha-Pad, da ein richtiges Schlagzeug in seinem Schuppen nicht Platz gefunden hätte. Außerdem war er für die Produktion verantwortlich und so steht auf dem Backcover: „Featuring the New Improved Andy Partridge“.

Schon die ersten Gitarren-Akkorde, die das Album eröffnen, signalisieren dem XTC-Fan „Willkommen zuhause“. Der zweite Track „Before the hurricane“ beginnt wie ein Song von Apple Venus, einem der allerbesten XTC-Alben, und er geht auch so weiter, nur dass weder Andy Partridge noch Colin Moulding singt. „River of Orchids“ heißt die Referenz. Der nächste Track „We´ll build a house“ wäre auf dem XTC-Album „Mummer“ eines der Highlights gewesen, lediglich „A Street Calles Prospect“ schreit hingegen nach den ersten Tönen „Ray Davies“, aber auch die Kinks sind nicht die schlechteste englische Referenz, und Newells Texte sind ohnehin nahe an Davies´ ironischen Alltagsbetrachtungen.

Herausgekommen ist also das beste XTC-Album, das nicht direkt von der Band oder von Andy Partridge selbst stammt. Und das ist ein Kompliment, wie es größer kaum ausfallen könnte.

Ambrosia - s/t

  Ambrosia – s/t 20 th  Century Records 1975 Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Nu...