Samstag, 11. Juni 2022

Martin Newell - The Greatest Living Englishman

 

Martin Newell – The Greatest Living Englishman

Humbug Records 1992

Ich gehe einmal davon aus, dass jemandem, der einen Blog über unbekannte Rockmusik liest, XTC ein Begriff ist. Sollte sich jemand aber aus den Weiten des World Wide Web hierher unbeabsichtigt verirrt haben, XTC sind seit ihrer Debut-EP 1977 eine der besten Bands dieses Planeten, und gemeinsam mit Wire vermutlich die beste kommerziell nicht erfolgreiche. Bei eingehender Analyse ist diese Behauptung vermutlich nur bedingt haltbar, weil zu erweitern, aber egal – sie erfüllt den Zweck. Jedenfalls schrieben Andy Partridge und Colin Moulding als große Beatles-Verehrer Songs mit ähnlicher Eingängigkeit wie die „Fab Four“, nur dass sie musikalisch in der New Wave sozialisiert wurden und besser singen konnten als John Lennon. Was zugegeben eine niedrige Hürde darstellt.

Falls es noch nicht richtig herausgekommen ist, die Beatles halte ich für eher verzichtbar, XTC hingegen keinesfalls. Wenn Paul McCartney einen Song wie „All you pretty girls“ komponiert und unter seinem Namen herausgebracht hätte, würde ihm dank dieses Refrains seit einiger Zeit jede einzelne schottische Insel gehören. Stattdessen sitzt Andy Partridge weiter in seinem Reihenhaus in Swindon und überlegt, womit er weiter seine Rechnungen zahlen soll.  Jedenfalls haben XTC fünf ihrer Alben unter den besten 3000 Musikalben aller Zeit (laut Meta-Besten-Liste AcclaimedMusic) – fast so viele wie die Beatles.

Eigentlich geht es aber um Martin Newell – einen englischen Poeten, Kolumnisten und Frontman der Gitarrenpop-Band Cleaners from Venus aus den 80er-Jahren, die erst recht niemand kennt. Er begab sich Anfang der 90er-Jahre auf Solo-Pfade und fand Andy Partridge, der Leute produzieren wollte, die ähnlich dachten wie er selbst. Das Album „The Greatest Living Englishman“ wurde 1992 in Partridges Schuppen mit einem Budget von 12.000 Pfund eingespielt, das Vierfache von dem, was Newell normalerweise aufbringen konnte. XTC-Mitglied Dave Gregory schaute öfter vorbei und auch Captain Sensible leistete einen Beitrag. Partridge experimentierte mit seinem ersten Macintosh-Computer und übernahm die Drums auf einem Yamaha-Pad, da ein richtiges Schlagzeug in seinem Schuppen nicht Platz gefunden hätte. Außerdem war er für die Produktion verantwortlich und so steht auf dem Backcover: „Featuring the New Improved Andy Partridge“.

Schon die ersten Gitarren-Akkorde, die das Album eröffnen, signalisieren dem XTC-Fan „Willkommen zuhause“. Der zweite Track „Before the hurricane“ beginnt wie ein Song von Apple Venus, einem der allerbesten XTC-Alben, und er geht auch so weiter, nur dass weder Andy Partridge noch Colin Moulding singt. „River of Orchids“ heißt die Referenz. Der nächste Track „We´ll build a house“ wäre auf dem XTC-Album „Mummer“ eines der Highlights gewesen, lediglich „A Street Calles Prospect“ schreit hingegen nach den ersten Tönen „Ray Davies“, aber auch die Kinks sind nicht die schlechteste englische Referenz, und Newells Texte sind ohnehin nahe an Davies´ ironischen Alltagsbetrachtungen.

Herausgekommen ist also das beste XTC-Album, das nicht direkt von der Band oder von Andy Partridge selbst stammt. Und das ist ein Kompliment, wie es größer kaum ausfallen könnte.

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