Dienstag, 2. August 2022

La Perversita / s/t

 

Invisible Records 1979

Eine wie aus dem Grammophon kommende Männerstimme singt „Strawberry Fields Forever“ von den Beatles. Dann setzt die monotone Percussion ein, ein paar Fetzen zurückhaltender Gitarre und ein paar Elektronik-Tupfer kommen dazu. Ab und zu pfeift noch jemand das eingängige Riff der Beatles, aber außer zwei Zeilen Gesang und fünf Tönen Gepfeife bleibt nach der Dekonstruktion nichts mehr übrig vom Beatles-Hit, dafür erzählt eine französische Frauenstimme Dunkel-Erotisches.

Auch auf „5´ – Et Quelque De Bonheur“ läuft die Percussion monoton durch und die Gitarre müht sich durch ein Bar-Jazz-Riff. Dazu singt eine ferne Männerstimme etwas von „Be-bop-a-lula“ und die Frauenstimme flüstert Unanständiges auf Französisch.

Dreht man die Platte, wird „Satisfaction“ von den Stones zerlegt und mit viel mehr Erotik als bei Mick Jagger neu zusammengesetzt.  Am Ende der B-Seite schwillt ein morbid-monotoner New-Wave-Sound an, der erstmals auch das Wort „Rock“ rechtfertigt. Dazu erzählt die weibliche Stimme, Jeanne Foly, von „La Soupeuse“ – der „Suppenmacherin“. Es braucht nicht viel Fantasie und Französisch-Kenntnisse, um den wahren Inhalt zu erahnen.

„La Perversita“ war ein Projekt von Hector Zazou nach seinen beiden ZNR-Alben. Später sollte der in Algerien geborene Franzose seine Werke irgendwo zwischen Erik Satie, Electronica und Weltmusik pendeln lassen. Dabei arbeitete er unter anderem mit bekannten Künstlern wie David Sylvian, Ryuichi Sakamoto oder Lisa Gerrard zusammen.

Auf diesem frühen Album mischt er – unter Mitwirkung des Künstlerkollektivs Bazooka und zweier Zeitungsjournalistinnen – experimentelle New-Wave-Elektronik mit Avantgarde-Klassik und kreuzt Dada und Pornografie. Der im Englischen gebräuchliche Ausdruck „Explicit Lyrics“ greift hier wohl zu kurz. In zwei Booklets ergänzt erotisch-politische Schwarz-Weiß-Kunst von Kiki  Picasso zu Themen wie „La Necrophage“ (die Aasfresserin) oder „La Zoophile“ (bei uns eher als Sodomie geläufig) das Gehörte.

Musikalisch sind das alles keine Ohrwürmer – nicht einmal die Beatles- und die Stones-Songs überleben diese Attacke. Das Ganze entwickelt aber eine faszinierend-hypnotische Atmosphäre mit dissonanten Einsprengseln. In einem Satz lässt es sich als nicht jugendfreie Mischung aus Serge Gainsbourg und den Residents zusammenfassen. Auch das Wort „Einzigartig“ verdient es mehr als fast alle anderen Alben.

Leider ist „La Perversita“ heute nicht mehr unter 150 Euro erhältlich, teilweise zahlt man sogar das Doppelte.

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