Freitag, 23. Dezember 2022

Foyer des Arts - Von Büllerbü nach Babylon

 

Foyer des Arts – Von Bullerbü nach Babylon

WEA 1982

Es gab ja einige Spielarten der Neuen Deutschen Welle, dem deutschen Ableger der New Wave. Manches davon war nicht ganz ernst und damit ist nicht „Gib Gas, ich will Spaß“ von Markus gemeint. Der Plan bewies als erste Band dadaistischen Humor und auch das Berliner Duo Foyer des Arts folgte mit etwas zeitlichem Abstand im Windschatten.

Das erste Album blieb noch völlig unter der Wahrnehmungsschwelle, da aber die Single „Eine Königin mit Rädern untendran“ ein Untergrund-Erfolg wurde, bekamen sie 1982 einen Vertrag beim Major-Label WEA für den Nachfolger. „Von Büllerbü nach Babylon“ ist nicht leicht einzuordnen: Dadaistische Kunst, kindliches Spiel mit Wörtern und Tönen, Gesellschaftssatire, früher Spoken-Word-Rap und doch finden sich einige Pop- und NDW-Perlen drauf. Untypisch für die damalige Zeit war auch der völlige Verzicht auf Synthesizer und Rhythmusmaschine. Zum Einsatz kommen lieber Holzbläser, Zither oder Kaffeedosenbongos. Gitarrist Gerd Pasemann komponierte die Musik, der später als Schriftsteller und Kolumnist erfolgreiche Max Goldt schrieb die Texte und sang/sprach.

„Von Büllerbü nach Babylon“ ist also völlig uneinheitlich – nicht immer einfach, manches spielerisch, manches visionär und manches so eingängig, dass man auch nach 40 Jahren sofort wieder mitsingen kann. „Wissenswertes über Erlangen“ eröffnet das Album mit einem prägnanten Bassmotiv und versprüht so viel Charme wie sonst kaum ein Titel der NDW. Höchstens noch „Fred vom Jupiter“ kann da noch mit. Der Nachfolgetrack ist hingegen irgendwo zwischen New Wave, Blasmusik und Atonalität und anschließend verschreckt einen Goldt mit den Textzeilen „Komm in den Garten, da liegt mein Bruder, ich konnt´ ihn nicht leiden, ich schlug ihm den Kopf ab.“ Dazu gibt es zurückhaltende Musik von Zither, Bass und viel Percussion. Teilweise singt Goldt aber auch Englisch und in „Olympia“ versucht er sogar, Bryan Ferry zu geben. Pasemann will mithalten und lässt zur NDW-Version von Roxy Music Geigen und Pauke aufmarschieren.

Satirisch werden sie vor allem auf der zweiten Plattenseite. In „Trends“ diagnostiziert Goldt: „Ohne Trends und ohne Mode langweilt man sich zu Tode. Man trägt wieder Paradebeutel, Wortwechsel sind jetzt weniger gefragt, die Moral hat sich geändert, die Äpfel werden wieder birnenförmiger.“

Visionär und dennoch zeitlos der letzte Track. In besorgter Stimme des Volkes (auch Goldt nennt es am Textblatt „Volk“): „Handtaschenräuber, überall Handtaschenräuber.“ Dann martialisch „Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz, Hubschraubereinsatz.“ Volk: „Scheinasylanten, überall, überall Scheinasylanten.“ – „Da hilft nur Hubschraubereinsatz.“ Der Spoken-Word-Rhythmus zu etwas Bass und Percussion ist so eingängig, dass sich die Zeilen in unserer Familie als Meme gehalten haben. Pure Genialität.

Mittwoch, 14. Dezember 2022

Fu Manchu - Go for it ... live!

 

Fu Manchu – Go for it … Live!

Steamhammer 2002

Wenn es um das Wesen der Rockmusik geht, um die Frage, was sie von anderen Musikstilen unterscheidet, dann ist man schnell beim Sound der E-Gitarre. Natürlich soll der Bass wummern und das Schlagzeug den Rhythmus in die Eingeweide hämmern. Es dürfen sogar fallweise Keyboards oder ein Saxofon zu hören sein, aber das wirklich Wundervolle an Rockmusik ist der elektrisch verstärkte Klang der sechs Gitarrensaiten. Dieser Ton, mit dem die Riffs gespielt werden.

Gitarristen investieren oft einige Zeit, um den Klang ihres Instruments unverwechselbar zu machen, kombinieren dazu verschiedene Verstärker, Effektgeräte und Pedale. Aber den wirklich coolsten Sound, den ich je aus einer, respektive zwei Gitarren gehört habe, kommt von Fu Manchu. Nie klang eine Gitarre mehr nach purem Rock als von dieser Band. Pfeif auf Hendrix, Slayer oder Jimmy Page – Scott Hill und Bob Balch aus Südkalifornien machen sie alle in fünfzehn Sekunden platt.

Manchen Bands hilft dabei die Studiotechnik, um die Gitarrenparts zu doppeln und so weiter. Fu Manchu brauchen all das nicht. Sie klingen großartig im Studio, aber live sind sie noch druckvoller, brachialer, krachen diese Gitarren noch brutaler.

Stoner Rock nennt man diese Spielform. Erfunden wohl von Kyuss und irgendwo zwischen Hard und Heavy Rock anzusiedeln. Manchmal, daher der Name, mit psychedelischen Elementen angereichert. Aber bei Fu Manchu ist kaum etwas psychedelisch in ihrer Musik. Der einzige spürbare Drogeneinfluss sind die Glückshormone, die einen durchfluten, wenn diese Gitarrenriffs auf einen losdreschen. Der einzige Trip ist, wenn ihr aufgemotzter Ford Mustang losprescht und Spuren auf den Asphalt zeichnet. So geht in den Texten auch oft um Autos. „Road burnin‘ all across the land, Hell On Wheels is no big deal“. Ansonsten sind die Lyrics ähnlich sinnbefreit und man hört etwas über fliegende Mungos, verrückte Bärte und UFOs.

Aber wer achtet auch auf Texte, wenn es solche Gitarren zu hören gibt? Der Bass röhrt meist irgendwo an der Grenze des menschlichen Hörvermögens herum und der neu engagierte Schlagzeuger weiß instinktiv, was man von ihm erwartet: Mit voller Kraft den Takt durchdreschen. Nur der Gesang ist etwas zurückgenommen und fast relaxed. Das Motto lautet: Lasst die Gitarren für uns sprechen.

Fu Manchu sind wie die Fahrt in einem alten Ford Mustang. V8-Motor, 7 Liter Hubraum und 375 PS. Shelby GT! Das ist nicht das nervöse Jaulen einer Metal-Band, das ist das tiefe Brummen roher Kraft. Riecht an meinem Auspuff, ihr japanischen Reisschüsseln! „King of the road says you move too slow.” Dieser Refrain wird 13-mal hintereinander gesungen. Klingt dämlich. Ist es auch. Aber die Musik geht dabei ab wie die Hölle.

1994 nahmen sie ihr erstes Album auf, 2002 folgte dann diese Live-Doppel-CD. Im Kofferraum hatten sie das eben erschienene „California Crossing“, eines ihrer besten Studio-Alben. In den ersten Sekunden ist die Bühne noch leer. Das Publikum fordert die Band, skandiert „Fu Manchu, Fu Manchu“. Und dann fährt dieses Gitarrenriff hinein, brettert mit 120 Meilen los und die Rhythmus-Sektion sorgt dafür, dass sich niemand in die Nähe wagt. „Hell on Wheels“ heißt das Ganze sinnvollerweise und man ist sicher, an diesem Abend werden keine Gefangenen gemacht. Nur die Harten kommen durch.

Sie wagen sich sogar an „Godzilla“, den Monster-Song von Blue Öyster Cult. Und sie versetzen der alten Echse einen Kick in den Allerwertesten. „Laserblast!“ bauen sie am Anfang nur auf zwei Akkorden der Rhythmusgitarre auf, aber das ist Rock. Keep it simple, Baby. Sie setzen die Schöpfungsgeschichte eindrucksvoll um: Am Anfang war das Riff und das Riff war bei Fu Manchu.

„King of the road“ – einer ihrer Signature-Songs – folgt etwas später. Wenn man hört, wie sie das Riff herunterprügeln, wird sofort klar: Mehr muss Rock´n´Roll nicht können. Mehr kann Rock´n´Roll nicht können. Das ist die Essenz des Rocks. Eingedampft in der südkalifornischen Sonne, unter der sie groß geworden sind, bis nur mehr Sehnen und Knochen übrig sind. „You can´t beat two guitars, bass and drums“, hat Lou Reed einmal gesagt. Der alte Lou hatte oft recht, aber kaum einmal hatte er so recht. Q.E.D.

Freitag, 9. Dezember 2022

Godley + Creme - L

 

Godley+ Creme – L

Mercury Records 1978

Sie waren so etwas wie moderne Universal-Künstler. Kevin Godley spielte Drums, Bass und Keyboards, Lol Creme Gitarre, Bass, Keyboards und was sonst noch so anfiel. Sie machten Videos unter anderem für The Police, Duran Duran oder Peter Gabriel. In „Cry“, ihrem eigenen Hit aus 1985, setzten sie zum ersten Mal die neue Morphing-Technologie in einem Musikvideo ein. Sie erfanden den Gizmo, eine Art Gitarren-Synthesizer, der einen geigenartigen Ton auf der Gitarre erzeugte. Und sie waren bis zum vierten Album „How dare you!“ die eine Hälfte von 10cc.

Dann wagten sie es. Sie verließen die Band, deren Werke fast automatisch in die Top 10 der Hitparade marschierten, und machten als Duo weiter. Aber nicht als 5cc: „Everything we did post 10cc was the off-kilter, unpredictable side of the group. It was no longer softened by the other side,” sagte Kevin Godley später. Als Debut veröffentlichten sie 1977 “Consequences”, eine Art Hörspiel auf drei LP mit ein paar Songs drauf. Just in jenem Jahr, in dem Punk in die Musikszene einschlug. Außer mir hat es praktisch niemand gekauft. Und ganz durchgehört habe ich es auch nur zwei- oder dreimal.

„Consequences freed us in a way. Because we were discouraged from that point, we could go away with our tail between our legs and do what we wanted, which is exactly what we did”, kommentierte Kevin Godley die Vorgeschichte zu ihrem zweiten Album “L”. Er hatte zweifellos recht – die Plattenfirma hatte deutlich hörbar keinen Einfluss auf die Musik.

Kurz zusammenfasst könnte man über „L“ sagen: 10cc meets Frank Zappa und doch greift man damit viel zu kurz. Queen´s „Bohemian Rhapsody“ ist ein langer, ruhiger Fluss dagegen. Es ist Art-Pop oder Prog Rock, aber von hartem Rock zu Free Jazz, vom Latino-Orchester zum Klang-Experiment, von Lounge-Musik  bis zur übersteuerten Gitarre, und dazwischen liegen oft nur 20 Sekunden. Musikalisch also hochkomplex, stellenweise dissonant und doch eingängig, wenn auch nicht beim ersten Mal Hören. Discogs, das Gebrauchtalben-Portal, führt es unter den Genres Art Rock, Soul, Avantgarde und Jazz. Ein paar andere hätten ebenso gut gepasst. Dabei ist es eigentlich Pop. Auf eine etwas komplexe Art. Das melodische Material dieser 34 Minuten würde bei anderen für fünf Alben reichen. Mindestens.

Bis auf das Saxofon spielen die beiden alle Instrumente selbst, vom Gizmo bis zum Xylophon. Textlich ist vieles von englischem Humor durchtränkt. „Does getting into Zappa mean getting out of Zen?“, erinnern sie sich in „Art School Canteen“ an ihre Studententage.  Auf „Business is Business“ in der Erinnerung an die Tage mit 10cc wird es schon sarkastischer: „M.O.R. is good, M.O.R. is safe. M.O.R. is here. Just give it to them, never think about it. Only the numb survive. Business is business.” Andy Mackay von Roxy Music spielt das passende Saxofon.

Auf “Punchbag” werden sie allerdings drastisch, wenn sie sich an ihre Schulzeit erinnern. Da mildert keine Ironie die Härte ihres Rückblicks: “I´ve never been a natural at physical things. Since the first football hit me in the ear like a frozen cannonball, and the knees buckled and stayed bent. And the laughs came and the nerve went. And “Dirty Jew” was written on the blackboard. Fourth form atrocities. Punchbag. Get down on your knees. Ready for the polythene bag treatment. To Jesus I play for strength to survive. Your Christian soldiers smell blood. I torture myself in private to prepare me for the pain. Fourth form punchbag.”

Das Album verkaufte sich kaum besser als „Consequences“. Für mich ist es das Meisterwerk zweier musikalischer Genies. Besser wurden sie nicht mehr, aber zumindest wieder erfolgreicher.

Donnerstag, 1. Dezember 2022

Haircut One Hundred - Pelican West

 

Haircut One Hundred – Pelican West

Arista Records 1982

Wir schreiben das Jahr 1982. Margaret Thatcher regiert weiterhin Großbritannien und wird es bald in einen kleinen Krieg um ein paar unbedeutende Inseln vor der argentinischen Küste führen. Die im Punk zerrissenen Jeans sind bereits wieder im Müll gelandet. „No Future“ war gestern. Die eine Hälfte der Musiker ist auf der Suche nach neuen Sounds in Richtung Post-Punk abgebogen, die Rest ist unterwegs zurück zur Hauptstraße der Pop-Musik. Man trägt wieder schmale Krawatte, Cashmere-Pullover oder Glitzer-Anzug.

Duran Duran und Spandau Ballet haben bereits ihre erste LP draußen und ein paar weitere englische Jungspunde um die 20 wollen schon mit dem Debutalbum den perfekten, den ewigen Popsong aufnehmen. ABC bringen im Mai ihr „Lexicon of Love“ heraus; Haircut One Hundred sind drei Monate früher dran. Beide Bands kommen ihrem unmäßigen, unverschämten Ziel verdammt nahe, ABC schaffen mit zwei Titeln sogar Volltreffer.

ABC bieten Pathos, Dramatik und Produzentengenie Trevor Horn; Haircut One Hundred schreiben einige ebenso gute Songs, aber sie setzen auf Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Beide Bands liebäugeln mit dem Funk, schon die ersten Sekunden von „Pelican West“ machen klar, dass man Nile Rodgers und sein Gitarrenspiel mehr als einmal aufmerksam gehört hat. Orange Juice hat man im Fall von Haircut One Hundred auch nicht nur als Getränk genossen. Beide Bands integrieren scharfe Bläsersätze in ihre Musik, beide führen einen eigenen Saxofonisten als Bandmitglied. Ein Instrument, das im Punk (mit einer kleinen Ausnahme namens X-Ray-Spex) völlig abgesagt war.

Im Gegensatz zum Breitwandkino von ABC bieten Haircut One Hundred Musik wie ein Frühsommertag. Der Himmel ist klar, die leichte Brise trägt den Duft blühender Sträucher heran. Man schaukelt auf der Terrasse, die Frisur sitzt und der Chardonnay ist bereits eingekühlt. Es muss nicht alles bedeutend bis revolutionär sein. „Pelican West“ ist Musik, die es blendend versteht, gute Laune zu vermitteln. Vier der zwölf Titel rangieren in der Kategorie große Popsongs, der Rest ist noch immer sehr gutes 80er-Material.

Wie bei so vielen Bands blieb das Debutalbum das beste der gesamten Karriere. Haircut One Hundred brachten Ende 1983 einen Nachfolger heraus. Dann verabschiedete sich Songwriter und Sänger Nick Heyward in Richtung einer weitgehend erfolglosen Solo-Karriere, in der er noch immer gute Musik machte, aber nie mehr die Unbekümmertheit und den jugendlichen Charme von „Pelican West“ erreichte.

Ambrosia - s/t

  Ambrosia – s/t 20 th  Century Records 1975 Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Nu...