Godley+ Creme – L
Mercury Records 1978
Sie waren so etwas wie moderne Universal-Künstler. Kevin Godley spielte Drums, Bass und Keyboards, Lol Creme Gitarre, Bass, Keyboards und was sonst noch so anfiel. Sie machten Videos unter anderem für The Police, Duran Duran oder Peter Gabriel. In „Cry“, ihrem eigenen Hit aus 1985, setzten sie zum ersten Mal die neue Morphing-Technologie in einem Musikvideo ein. Sie erfanden den Gizmo, eine Art Gitarren-Synthesizer, der einen geigenartigen Ton auf der Gitarre erzeugte. Und sie waren bis zum vierten Album „How dare you!“ die eine Hälfte von 10cc.
Dann wagten sie es. Sie verließen die Band, deren Werke fast automatisch in die Top 10 der Hitparade marschierten, und machten als Duo weiter. Aber nicht als 5cc: „Everything we did post 10cc was the off-kilter, unpredictable side of the group. It was no longer softened by the other side,” sagte Kevin Godley später. Als Debut veröffentlichten sie 1977 “Consequences”, eine Art Hörspiel auf drei LP mit ein paar Songs drauf. Just in jenem Jahr, in dem Punk in die Musikszene einschlug. Außer mir hat es praktisch niemand gekauft. Und ganz durchgehört habe ich es auch nur zwei- oder dreimal.
„Consequences freed us in a way. Because we were discouraged from that point, we could go away with our tail between our legs and do what we wanted, which is exactly what we did”, kommentierte Kevin Godley die Vorgeschichte zu ihrem zweiten Album “L”. Er hatte zweifellos recht – die Plattenfirma hatte deutlich hörbar keinen Einfluss auf die Musik.
Kurz zusammenfasst könnte man über „L“ sagen: 10cc meets Frank Zappa und doch greift man damit viel zu kurz. Queen´s „Bohemian Rhapsody“ ist ein langer, ruhiger Fluss dagegen. Es ist Art-Pop oder Prog Rock, aber von hartem Rock zu Free Jazz, vom Latino-Orchester zum Klang-Experiment, von Lounge-Musik bis zur übersteuerten Gitarre, und dazwischen liegen oft nur 20 Sekunden. Musikalisch also hochkomplex, stellenweise dissonant und doch eingängig, wenn auch nicht beim ersten Mal Hören. Discogs, das Gebrauchtalben-Portal, führt es unter den Genres Art Rock, Soul, Avantgarde und Jazz. Ein paar andere hätten ebenso gut gepasst. Dabei ist es eigentlich Pop. Auf eine etwas komplexe Art. Das melodische Material dieser 34 Minuten würde bei anderen für fünf Alben reichen. Mindestens.
Bis auf das Saxofon spielen die beiden alle Instrumente selbst, vom Gizmo bis zum Xylophon. Textlich ist vieles von englischem Humor durchtränkt. „Does getting into Zappa mean getting out of Zen?“, erinnern sie sich in „Art School Canteen“ an ihre Studententage. Auf „Business is Business“ in der Erinnerung an die Tage mit 10cc wird es schon sarkastischer: „M.O.R. is good, M.O.R. is safe. M.O.R. is here. Just give it to them, never think about it. Only the numb survive. Business is business.” Andy Mackay von Roxy Music spielt das passende Saxofon.
Auf “Punchbag” werden sie allerdings drastisch, wenn sie sich an ihre Schulzeit erinnern. Da mildert keine Ironie die Härte ihres Rückblicks: “I´ve never been a natural at physical things. Since the first football hit me in the ear like a frozen cannonball, and the knees buckled and stayed bent. And the laughs came and the nerve went. And “Dirty Jew” was written on the blackboard. Fourth form atrocities. Punchbag. Get down on your knees. Ready for the polythene bag treatment. To Jesus I play for strength to survive. Your Christian soldiers smell blood. I torture myself in private to prepare me for the pain. Fourth form punchbag.”
Das Album verkaufte sich kaum besser als „Consequences“. Für mich ist es das Meisterwerk zweier musikalischer Genies. Besser wurden sie nicht mehr, aber zumindest wieder erfolgreicher.
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