Betty Davis – s/t
Just Sunshine Records 1973
Einmal muss ich bei meiner Auswahl der „100 unentdeckten Meisterwerke der Rockmusik“ noch einen Ausflug in den Funk machen. Einfach, weil diese Lady so unfassbar war. Unfassbar funky, unfassbar gut, unfassbar anders. „They say I´m different”, hieß ihr zweites Album und das war deutlich untertrieben.
Betty Davis war ein Role Model für viele. „Ahead of her time“, hieß es später. Selbstbestimmter konnte man in den frühen 70ern als schwarze Frau kaum sein. Sie schrieb alle Songs selbst, sie sang den Musikern deren Parts vor, sie arrangierte und ab dem zweiten Album produzierte sie ihre Musik auch selbst.
Das zweite Album profitierte im Vergleich zum ersten vom besseren Songwriting und den expliziteren Texten (ja, der Ausdruck „explicit lyrics“ wurde vermutlich für Betty Davis erfunden), aber ich habe mich in diesem Blog für ihr Debut entschieden, denn schon die ersten 15 Sekunden des ersten Tracks „If I´m in luck I might get picked up“ mit dem dröhnenden Bass machen klar, dass von dieser Frau in eben dieser Minute Funk neu definiert wird.
Echter Funk. Nichts Weichgespültes wie Earth, Wind and Fire oder Kool & The Gang. „P-Funk“ (Pure Funk) reklamierten George Clinton und Bootsy Collins mit Parliament später für sich. Aber wirklicher Pure Funk, das ist Betty Davis. Sie ist funky in jedem Ton, in jedem Wort. Niemals war der Funk härter, kompromissloser und nie war er – das Wort muss jetzt einfach sein – so sexy wie bei Betty Davis.
Betty Mabry heiratete mit 24 Jahren einen gewissen Miles Davis und behielt nach der Scheidung seinen Namen bei. Er profitierte dafür von ihrem Einfluss auf seine Musik – der Fusion-Stil auf „Bitches Brew“ wird in gewissem Maß ihr zugeschrieben.
Den Deal mit der Plattenfirma verschaffte ihr hingegen einer ihrer späteren Partner, nämlich der Santana-Percussionist Michael Carabello. Bei Eric Clapton und Marc Bolan hatte sie noch Nein gesagt, da für sie die musikalischen Stile zu weit auseinander lagen. Carabello brachte noch Santana-Gitarrist Neal Schon mit, aber vor allem war es Larry Graham, vorher bei Sly & The Family Stone, der mit seinem Bass den Sound prägte. Wie gesagt mit Basslinien, die ihm die Chefin vorsang, denn diese Frau wusste genau, was sie wollte und nicht wollte.
Sie integrierte in ihrem Debut ein wenig Rock, ein wenig Blues und ein wenig Jazz, aber heraus kam Hardcore-Funk. Weniger Bläser als gewohnt, dafür mehr Keyboards, mehr Gitarre und vor allem mehr Bass. Erykah Badu oder Rick James brauchten später nur das Rezept mit weniger Schärfe nachzukochen, um reich zu werden.
Der bekannte US-Kritiker Robert Christgau monierte einmal, Betty hätte eine „narrow voice“. Ja, stimmt, sie konnte auch im klassischen Sinn nicht gut singen, aber was für eine Emotion, was für eine Sexualität hatte sie in ihrer Stimme. Madonna oder Prince hätten für diesen Ausdruck die Hälfte ihres Vermögens gegeben. Christgau bemängelte auch den Mangel an „melodic gift“. Stimmt auch, manche schrieben bessere Songs, aber hier zählt ausnahmsweise der Sound. Und der ist einfach einzigartig.
„You couldn´t tame Betty Davis“, sagte Carlos Santana einmal. Im Zweifel lief es höchstens andersrum, wie man auf ihrem zweiten Album nachhören kann. Der Songtitel „He was a big Freak“ ist noch die harmloseste Zeile im Text.
Nur 29 Minuten war ihr Debutalbum lang, aber was für eine Tour de Force. Einfach unglaublich.