Montag, 5. Juni 2023

Diverse – The Roxy London WC2

 

Diverse – The Roxy London WC2 (Jan – Apr 77)

Harvest Records 1977

Punk kam endgültig nach London am 4. Juli 1976 mit einem Konzert der Ramones im Roundhouse vor 2000 begeisterten Zuhörern. Doch die britischen Bands der ersten Stunde, die sich durch den Einfluss der Ramones formten, mussten mit deutlich kleineren Locations Vorlieb nehmen. Es waren kleine Kellerlokale, in denen sich diese neue Jugendkultur festsetzte – vor allem das Roxy in Covent Garden und das Vortex in Soho.

Nur folgerichtig, dass das erste Live-Dokument des britischen Punks im Roxy, einem früheren Warenlager für Obst und Gemüse, mitgeschnitten wurde. Und nichts später fing diesen Moment des jugendlichen Aufbegehrens so eindrücklich ein wie dieses Album. Es waren nicht die ganz großen Namen, die sich hier in die Punk-Annalen eintrugen. Keine Sex Pistols, keine Clash, keine Damned.

Eröffnet wird von Slaughter & The Dogs, doch ihr „Runaway“ hat alles, was ein guter Punk-Song braucht: Er ist roh, laut, schnell und der rotzige Text transportiert sogar eine eingängige Hookline. Mit „Boston Babies“ legen sie sogar noch an Tempo zu und es kümmert keinen, ob Gitarre, Bass und Drums exakt im gleichen Takt spielen. Es fetzt.

The Unwanted machen dann ihrem Namen Ehre, doch zwei ihrer Mitglieder schafften es später zu den Psychedelic Furs. Es folgt der erste dokumentierte Live-Auftritt der Post-Punk-Halbgötter: „We´re Wire“, gibt Colin Newman gelangweilt von sich, bevor sie mit „Lowdown“ und vor allem mit „1.2.X.U.“ ihre Punk-Wurzeln offenlegen. Die Adverts mit ihrem so programmatischen „Bored Teenagers“ beschließen die erste Seite.  Man hat direkt das Bild im Kopf, wie Gaye Advert mit ihrer Bassgitarre cool in der Ecke steht, während sie von sämtlichen männlichen Jugendlichen im Publikum angegafft wird.

„Jesus, it´s fucking hot here”, stöhnt Johnny Moped ins Mikrofon, bevor er mit seiner Band die Temperatur noch deutlich nach oben treibt. „Hard loving man“ in dieser Version ist vermutlich der schnellste Punk-Song der Geschichte. Eater schafften mit ihren beiden Tracks vermutlich die größte Breitenwirkung ihrer sonst weniger eindrucksvollen Karriere, doch dann schreit sich Poly Styrene als Sängerin von X-Ray-Spex die Seele aus dem Leib und Lora Logic bläst dazu ihr schräges Saxofon. „Oh Bondage! Up Yours!“  

„This one´s really a shitty song”, so kündigt Pete Shelley “Breakdown” seiner Buzzcocks an und kaum jemals irrte er derartig. Mit der Breitseite ihrer „Love Battery“ beschließen sie würdig dieses Zeitdokument aus 1977. Es ist wahrscheinlich eines der schlechtestproduzierten Live-Alben der Rockgeschichte und doch fängt es wie kaum ein anderes die Atmosphäre in diesem Kellerlokal ein. Es folgten später eine Doppel-CD und sogar ein Fünffach-Sampler mit weiteren Acts rund um diese zwölf Songs, doch der Sound blieb ebenso arm wie die Musik eindrucksvoll.

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