The Boys – Alternative Chartbusters
NEMS 1978
In einem Ranking der originellsten Bandnamen hätten sie keinen der vorderen Plätze belegt, aber ansonsten machten The Boys eigentlich alles richtig. Sie waren in der ersten Welle des Punks mit dabei, denn Bandleader Matt Dangerfield verwandelte 1975 das Kellergeschoss seiner Londoner Mietwohnung in ein Aufnahmestudio. The Damned, The Clash oder die Sex Pistols nahmen dort ihre ersten Songs auf, und Dangerfield zog mit eigener Band mit.
Die ersten Clubauftritte waren sehr erfolgreich: Als sie im Oktober 1976 im Hope + Anchor debütierten, standen unter anderem Joe Strummer, Mick Jones und Billy Idol im begeisterten Publikum. So wurden sie zur ersten Punkband mit einem Vertrag für ein ganzes Album – noch vor The Damned. Sie spielten es in zwei Tagen ein, doch die kleine Plattenfirma NEMS verschlief das Ganze, und so kamen sie erst auf den Markt, als bereits jede Menge erster Punk-Alben den Platz in den Läden verstellten.
Die zweite Single „First Time“ war jedoch so gut, dass sie von „Sounds“ zur Single der Woche gekürt wurde, und John Peel die Band für eine BBC-Session einlud. Der Song stieg prompt in die Charts ein, doch Elvis Presley starb in derselben Woche und die zu RCA gehörende Plattenfirma musste alle Produktions- und Vermarktungsressourcen dem „King of Rock´n´Roll“ zur Verfügung stellen. Dabei hätte sich „First Time“ einen Platz unter den besten 100 Rocksongs aller Zeiten verdient und steht auf einer Stufe mit John Peels ewigem Lieblingslied „Teenage Kicks“ von den Undertones.
In der britischen Musikpresse wurden The Boys zunehmend als „Beatles des Punks“ bezeichnet und – bei allem Hinken solcher Vergleiche – sie schrieben tatsächlich unheimlich zündende, eingängige Songs. Selbst sahen sie sich eigentlich als Pop und nicht als Punk. Auf ihrem zweiten Album „Alternative Chartbusters“ betonten sie folgerichtig den Pop-Aspekt in ihrer Musik.
„Brickfield Nights“, ein weiterer Klassesong für die Ewigkeit, eröffnet das Album mit einer Produktion, die näher an Phil Spector als an Malcom McLaren liegt. Sie nahmen damit und mit zwei, drei weiteren Tracks ein wenig das Ramones-Album „End of the Century“ vorweg, das direkt von Spector produziert wurde. Tatsächlich spielten sie sogar als Vorband auf der UK-Tour der New Yorker Punk-Überväter. Im vierten Song übertrieben sie die stilistische Loslösung vom reinen Punk mit einem Cover der Latino-Nummer „Sway“ samt Mariachi-Bläser, doch ansonsten ist „Alternative Chartbusters“ eine Power-Pop-Perle, wie es nur wenige gibt.
Mit der Qualität des Albums im Gepäck gingen sie auf Europa-Tour, um es zu promoten. Alleine, die Plattenfirma verschlief die Termine abermals und brachte das Album nicht rechtzeitig zur Tour auf den Markt. Ihr ihnen zweifellos zustehender Platz in einer Reihe mit den Punk-Pop Grössen The Untertones und Buzzcocks blieb den Boys verwehrt. Paul Weller brachte einen „The Boys“-Sticker auf seiner Rickenbacker an, Die Toten Hosen ehrten sie noch mit einem Cover von „First Time“ auf „Kreuzzug ins Glück“ und einem von „Brickfield Nights“ auf „Learning English“. Auch eine japanische Band namens Thee Michelle Gun Elephant war mit einem Boys-Cover so erfolgreich, dass die Boys gegen Ende der 1990er-Jahre mehr als 30.000 Alben alleine in Japan verkauften, doch es war zu spät für die „Beatles des Punks“.
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