The Raincoats – s/t

Rough Trade 1979
Frauen waren in der Unterhaltungsmusik lange Zeit auf eine einzige Rolle beschränkt: Songs von männlichen Songschreibern zu singen und im Idealfall dazu noch gut auszusehen. Manche wie Nina Simone oder Aretha Franklin schafften es mit der Zeit, ihre eigene starke Persönlichkeit in die Entwicklung ihrer Karriere einzubringen. Mit dem Folk der 60er Jahre kamen Frontfrauen wie Joan Baez oder Joni Mitchell dazu, die akustische Gitarre zu ihren eigenen Songs spielten.
Erste reine Frauenbands in den 70ern wie die Runaways oder Girlschool waren noch Produkte der Marketingüberlegungen ihrer Manager. Parallele Einzelerscheinungen wie Suzi Quatro und Patti Smith ermutigten dann im Punk der späten 70er-Jahre erstmals Frauen zu einer breiteren Rolle in der Rockmusik. Siouxsie führte ihre Banshees und schrieb die meisten Texte, Lora Logic spielte bei X-Ray-Spex ein verhaltensauffälliges Saxofon und Gaye Advert definierte an ihrem Bass Coolness im Punk neu.
Mit den Slits bildete sich sogar die erste reine Frauenband in der Rockmusik, die keinem Marketingkalkül entsprungen war. Drummerin Palmolive verließ die Slits bald, dockte aber bei einem ähnlichen Projekt an. Zwei Kunststudentinnen, die in einem besetzten Haus lebten, beschlossen, es ein wenig mit Musik zu versuchen. Aus der Hausbesetzerszene nahmen sie die gelebte Gleichberechtigung mit: Alle Bandmitglieder sollten später auf der Bühne nebeneinander spielen, es gab keine Frontfrau. Sonst brachten sie nichts mit außer Enthusiasmus und eine gemeinsame Liebe für Velvet Underground.
Gina Birch, eine der beiden, sagte später: „When you don´t know what you are doing, you have to be inventive.We made sounds that were our own.“ Und so klingt die Musik der Raincoats stark nach der Do-It-Yourself-Haltung des Punk, aber musikalisch fließen ebenso Folk und Dub ein oder spielt Violinistin Vicky Aspinall eine Geige, die phasenweise stark an John Cales Viola-Spiel bei Velvet Underground erinnert
Die ersten Textzeilen der Raincoats lauten: „It makes no difference, night or day, no one teaches you how to live“. Und so bringen sie es sich einfach selbst bei. Alles rumpelt und scheppert ein wenig, entzieht sich manchmal den gewohnten Songstrukturen, entwickelt aber einen ungeheuren Charme. Selbst das einzige Cover des Albums, „Lola“ von den Kinks, klingt mehr nach den Raincoats als nach Ray Davies.
Die besten Songs sind vermutlich die ersten beiden, die sie bereits als EP veröffentlicht hatten: „Fairytale in the Supermarket“ und „In Love“. Aspinalls Geige lässt Splitterbomben wie 13 Jahre vorher Cales Viola fallen, Palmolive trommelt sich in Trance und die gebürtige Portugiesin Ana da Silva schrammelt an ihrer Gitarre herum, als gäbe es kein Morgen mehr.
„Fairytale“ fehlte in der ersten Edition des Albums, im 93er-Re-Issue wurde es aber verständlicherweise aufgenommen. Die Liner Notes schrieb damals ein gewisser Kurt Cobain. Unter anderem teilt er den Käufern mit „I really don´t know anything about The Raincoats except that they recorded some music that have affected me so much… They are playing their music for themselves.“ Letzteres ist wohl trotz dieses berühmten Fans ein Hauptgrund, warum sie beide Kriterien für diesen Blog erfüllen: Unentdeckt und Meisterwerk.
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