Freitag, 17. Februar 2023

E*I*E*I*O - Land of Opportunity

 

E*I*E*I*O – Land of Opportuniy

Frontier Records 1986

Im Ranking der dümmsten Bandnamen schafften sie es locker in die Top-Ten und mit Textzeilen wie „The sun rises like an orange ball of fire“ qualifizierten sie sich auch unbedingt nicht für Lyrik-Preise. Aber abgesehen davon machte die Band E*I*E*I*O fast alles richtig.

Die fünf Musiker fanden einander in Milwaukee, Wisconsin, der selbst ernannten Bierbrauereien-Hauptstadt der USA. Und vom Bier war es nicht allzu weit zur Country-Musik, allerdings in der Instrumentierung zwei E-Gitarren, Bass und Drums. Man nannte das Roots-Rock, später sollte der Begriff Americana gebräuchlicher werden. Sie spielten als Vorgruppe der Hoodoo Gurus und auch für die Bangles. Susanna Hoffs übernahm sogar fünf Jahre später einen ihrer Songs für ihr erstes Solo-Album.

Steve Berlin von den Los Lobos produzierte dann das Debutalbum „Land of Opportunity“ und wenn man es hört, denkt man: „missed opportunity“. Und was für eine. Zwölf Songs mit Melodien zwischen gefällig und grandios, doch bei aller Melodieseligkeit ist immer klar, dass sie auch rocken können. Stellenweise streifen sie direkt am Cow-Punk an; immerhin war erst ein Jahr zuvor das Debutwerk von Jason + The Scorchers erschienen. Doch die klarste Referenz lautet Rank and File, noch so eine sträflich unterschätzte, großartige Band. Der Stimme von Steve Summers ist butterweich, die Melodien drängen geradezu in die Gehörgänge und die Gitarre von Mike Hoffmann hat einen wundervollen Twang. Immerhin sollte er später für Musiker wie T-Bone Burnett oder k.d. lang arbeiten.

Im US-Blog „PopDose“ wurde später über dieses Album getitelt: “The Best Alt-Country CD You’ve Never Heard”. Und als Abschluss steht: “Twenty years(!) after its release, Land of Opportunity still stands as one of the best, yet most under-appreciated alt-country releases ever recorded.” Mittlerweile sind es bald 40 Jahre, seit das Album erschienen ist, aber der Satz gilt nach wie vor.

Montag, 13. Februar 2023

Electric Six - Fire

 

Electric Six – Fire

XL Recordings 2003

Die Zeiten sind ja zuletzt oft trist genug. Umso mehr besteht ein Bedarf nach Rockmusik, die verlässlich gute Laune machen kann und sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Ein einziger Bono ist mehr als genug für die Welt.

In der Abteilung „Gute Laune“ spielen Electric Six ganz oben mit und in ihrem Oeuvre ist es vor allem ihr Debut „Fire“, das heraussticht. 1996 in Detroit gegründet, brauchte die Band sieben Jahre, bis sie zu einem ersten Album kam. Zeit genug, um jede Menge tolle Songs anzusammeln.

Vermutlich gibt es so etwas wie Comedy-Metal-Disco-Rock nicht, aber Electric Six legen Heavy-Metal-Gitarren über Disco-Beats, wechseln zwischen Stadionrock und funkigen Basslines im 15-Sekunden-Takt oder mischen sie einfach. Jede einzelne Zutat ist bekannt und doch hat man so etwas noch nie gehört. Sie bewegen sich im Viereck zwischen Kiss, !!!, Tenacious D und Village People – und das in ziemlichem Tempo. Sie spielen mit Rock- und Disco-Klischees, fügen sie in neuem Kontext zusammen. Die Schrauben, die es bei ihnen zusammenhalten sollen, sind locker, im Gesicht dominiert das ironische Grinsen und Zurückhaltung gibt es keine. Schon gar keine vor schlechtem Geschmack.  “I wanna take you to a gay bar. Let´s start a war, start a nuclear war, at the gay bar. I´ve got something to put in you, at the gay bar.”

Und plötzlich können sie auch ziemlich zynisch werden: „I dropped the bomb on Japan, I was a hostage in Iran, I´m an ugly American.“ Vier Zeilen später stoßen sie schon wieder die Grenzen des guten Geschmacks nieder: „I´ve got something better for ya – naked pictures of your mother.“

Obwohl Dick Valentine nicht wirklich singen kann, sondern mehr wie Till Lindemann bei Rammstein Parolen skandiert, sind die Melodien catchy und Songs wie „Danger! High Voltage“ oder „Gay Bar“ brennen sich für immer in die Neuronen und Synapsen. Dazu bratzen die Gitarren, macht der Bass einen auf Bernard Edwards meets Gene Simmons und die Synthies blubbern wie im Studio 54.

Im letzten, auch musikalisch etwas getrageneren Song liefern sie noch eine Maxime nach: „Be all that you can be, just as long as you are free, you were blind and now you see, that just is my techno.” Und falls es in dieser neutestamentarischen Techno-Heilung nicht ganz so weit gereicht haben sollte, haben diese 38 Minuten zumindest jede Menge Spaß gemacht.

Donnerstag, 9. Februar 2023

A Factory Sample

 

A Factory Sample (Diverse)

Factory 1979

Die Do-it-Yourself-Haltung des Punks begrenzte sich nicht auf den Umgang mit Instrumenten, sondern erfasste bald auch das Business. Major-Labels wurden eher als Feinde verstanden. Auch die Sex Pistols waren mit EMI nicht gerade zufrieden, wie sie im gleichnamigen Song deutlich kundtaten und landeten letztlich bei Virgin. Also ging man bald dazu über, selbst Labels zu gründen. Rough Trade war wohl das wichtigste, aber auch Mute Records hält sich seit den Punk-Tagen gut im Business. Man nannte sie Independents und der Name wurde mit der Zeit sogar zu einer eigenen Musikrichtung.

In Manchester entstand 1978 Factory Records, in einem Auftrittslokal gleichen Namens. Die erste Veröffentlichung war eine „A Factory Sample“ benannte Doppel-EP im 7-inch-Format mit vier lokalen Acts. Das Cover ein zusammengefaltetes Blatt aus Reispapier, mit Silber bedruckt und mit vier seltsamen Fotos und Grafiken als Beilage. Zusammen enthielt dieser Sampler im Singles-Format neun Tracks, die zum Teil die weitere Musikgeschichte maßgeblich beeinflussen sollten.

Die ersten beiden Tracks gehörten einer Band, die gerade den Namen Warsaw abgelegt und bereits als Vorgruppe zu Acts wie Suicide oder A Certain Ratio erste Live-Praxis gesammelt hatte. Die Studioaufnahmen spielte sie bereits unter dem neuen Namen Joy Division ein. Zwei Jahre später sollte sie zur wichtigsten und einflussreichsten Band der späten 70er-Jahre geworden sein. Beide Songs, „Glass“ und „Digital“, wurden nicht in die beiden regulären Alben der Band übernommen, sondern erst auf dem nach Auflösung der Band erschienenen Sampler „Still“ wiederveröffentlicht. „Digital“, der erste von ihnen erschienene Track, wurde tragischerweise auch zum letzten Song, den Joy Division jemals spielte. Am 2. Mai 1980 schlossen sie damit ihr Konzert in Birmingham; 16 Tage später erhängte sich Sänger Ian Curtis und der Rest der Gruppe wurde zu New Order.

Doch weg von der Historie und hin zur Musik. Mit den ersten kalten Gitarrentönen von „Digital“ wurde zwei Monate nach Siouxsie + The Banshees Album „The Scream“ endgültig der Post-Punk, die New Wave, etabliert. „Feel it closing in, the fear of whom I call, everytime I call, I feel it closing in.” Johnny Rotten oder Joe Strummer hätten solche Zeilen nicht gesungen, aber Ian Curtis fühlte sie, riss sie aus seinem geschundenen Geist. Und das hörte man in jeder Sekunde. Ebenso hätten Steve Jones von den Sex Pistols oder Mick Jones von The Clash niemals solch eine klaustrophobische Gitarre dazu gespielt wie Bernard Sumner. Statt Wut und Zorn hörte man pure Verzweiflung. Nicht einmal Scott Walker rührte einen jemals so wie der Schmerz in Curtis´ Gesang. Zwei Jahre später wusste man, warum: Es war alles zu 100 Prozent authentisch, jeder Ton, jede Zeile.

Auf der zweiten Seite beginnt die Durutti Column – oder auch Gitarrist Vini Reilly mit sechs wechselnden Musikern – die deutlich bescheidenere Karriere. Dafür hielt sie etwa 20 Jahre lang. Sie benannten sich nach einer spanischen Anarchisten-Einheit, klangen aber auf dem ersten Song „No Communication“ ähnlich kalt wie Joy Division. Erst auf dem zweiten Track „Thin Ice“ offenbarte sich Reillys Vorliebe für verspielten, atmosphärischen Gitarrensound.

Die zweite EP bietet einen völligen Stilbruch. John Dowie, ein englischer Stand-Up-Comedian, performt drei kurze, skurrile Songs über „Acne“, „Idiot“ und „Hitler´s liver“ Zu eingängiger, aber nicht dem Zeitgeist verpflichteter Rockmusik singt Dowie Verse wie: „Hitler’s liver is a liver liverestly weird, When you wear it as wig or rub it in your beard, Nail it to a passerby or force it down his throat, Cover it in furry stuff and kick it like goat. Hitler’s liver – yum yum yum.“

Jedenfalls macht Dowie deutlich mehr Spaß als die letzte Band – Cabaret Voltaire. Der erste Track beginnt mit einem Original-Soundclip aus einer deutschen Nachrichtensendung über die Selbstmorde der RAF-Terroristen Baader, Meinhof, Ensslin und Raspe. Über die gesprochenen Texte mit Fragen wie „Are they the heroes?“ legen sich Soundcollagen – hauptsächlich mit dem Synthesizer eingespielt. Auf dem zweiten Track „Sex in secret“ dominieren Rhythmus-Box und verzerrte Stimmen – kombiniert mit diversen Geräuschen und einer Gitarre, die wie ein Synthie klingt. Die erste britische Wurzel des Industrial-Sounds hat sich in die nordenglische Erde gebohrt.

Nur 5000 Stück dieser Compilation wurden gepresst, aber Bands von The Cure, U2, Bloc Party, Editors, Interpol bis zu Nine Inch Nails und Ministry beriefen sich später auf diese hier entstandene Musik.

Fad Gadget - Fireside Favourites

 

Fad Gadget – Fireside Favourites

Mute Records 1980

Kurz nachdem Punk gegen den pompösen Prog-Rock angekämpft hatte, wurden die Synthesizer kleiner und bedeutend billiger. Man musste nicht mehr Keith Emerson, Rick Wakeman oder Vangelis heißen, um sich einen leisten zu können, sondern ein Wochenlohn reichte für einen kompakten Synthie samt Rhythmus-Box. Kraftwerk und später die US-Pioniere Suicide hatten zudem gezeigt, dass man mit reiner Elektronik nicht nur schwülstige Sound-Gebilde, sondern auch chartstauglichen Avantgarde-Pop beziehungsweise spannenden Rock fabrizieren konnte. Man brauchte nicht einmal vier Jahre Klavierunterricht, sondern lediglich Ideen und ein wenig Durchhaltevermögen. Das passte wieder in den Do-it-yourself-Zeitgeist des Punks und so hielt der Synthie Einzug in die New Wave.

Cabaret Voltaire waren die ersten, die ihren Sound vor allem auf Elektronik aufbauten, Human League mit ihrer ersten stilbildenden Single „Being boiled“ folgten. Als Gary Numan in seiner Tubeway Army die Gitarre gegen einen Mini-Moog tauschte und 1979 mit „Are Friends Electric“ die UK-Charts toppte, war der Durchbruch geschafft.

Zu dieser Zeit experimentierte Frank Tovey alias Fad Gadget in seinem Zimmer bereits mit einem kleinen Korg Synthie und einer Korg Minipops Drum Machine. Er sandte ein Tape an Daniel Miller, der mit The Normal vergleichbare Musik machte. Wie der Zufall so wollte, gründete Miller kurz darauf sein eigenes Label Mute Records und Fad Gadget war der erste, der unter Vertrag kam. Später sollten Bands wie Depeche Mode, Nick Cave and the Bad Seeds oder New Order dazu kommen.

Die erste Single „Back to Nature“ im Oktober 1979 war erfolgreich genug, damit Tovey den Deal für ein ganzes Album bekam – „Fireside Favourites“. Fad Gadget produzierte jedoch nicht bequeme Pop-Songs, sondern experimentierte weiter mit seinen Sounds. Nicht zufällig wird am Back-Cover Produzent John Fryer auch mit „Ashtray, Metal Chair, Extra Fingers“ angeführt. Später sollte Fad Gadget von vielen als wichtiger Einfluss auf die Entwicklung des Industrial genannt werden.

Auch textlich war Tovey ein satirischer und kritischer Chronist, aber kein Liebeslied-Verfasser. Die ersten Textzeilen auf diesem Album könnten fast von der Letzten Generation stammen:

Locomotion took us there and back
We kept our heads, we laid our track
Pedestrian wait!

The power of steel automation
Turn the key for mass ignition
Pedestrian wait!

Airplanes buzz like Asian flu
Jumbo junks on Air fix glue
Spaceships built for leisure cruise
Baby′s feet in brand new shoes

Und auf dem Titel-Track beginnt er romantisch mit:

Come here, baby, in front of the fire
I′d like to look into your eyes
Loosen your clothes, get out of that seat
Come and feel my body heat,

um dann vier Strophen weiter in der Katastrophe zu enden:

Hey now, honey, open your eyes
There′s a mushroom cloud up in the sky
Your hair is falling out and your teeth have gone
Your legs are still together but it won′t be long

Trotz aller Verstörung in den Texten schaffte er es, ein Debutalbum mit einigen herausragenden Songs zu veröffentlichen. Musikalisch hatte er ein Händchen für zündende Melodien – vor allem in den Synthie-Riffs. Man höre nur den Titelsong.

Obwohl er kommerziell nie erfolgreich war, nannten ihn doch viele Künstler und Bands als maßgeblichen Einfluss – darunter Depeche Mode, The Liars, The Twilight Sad und sogar Boy George von Culture Club. Mit 45 Jahren starb Frank Tovey allerdings an einem angeborenen Herzfehler.

Ambrosia - s/t

  Ambrosia – s/t 20 th  Century Records 1975 Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Nu...