Cabaret Voltaire – „Mix-Up“
Rough Trade 1979
Wenn man in Sheffield 1973 eine Band gründet und sich nach der Geburtsstätte des Dadaismus in Zürich benennt, dann ist man anders. Das Trio begann mit Heimorgel, Tonbandschleifen und selbst gebauten Oszillatoren zu experimentieren. Ihre Sound-Collagen führten sie unter anderem in öffentlichen Toiletten oder über den Lautsprecher eines fahrenden Kleinbusses auf. Dies bescherte einem Bandmitglied einen Krankenhausaufenthalt, da das unfreiwillige Publikum die ungewohnten Töne wenig goutierte, aber nach einigen Jahren erlangten sie aufgrund ihrer konsequenten Haltung auch ein wenig Respekt in der neu aufkommenden Punk-Bewegung.
Sie steuerten auf dem neu gegründeten Factory Label zwei Tracks zur ersten Veröffentlichung, einer Doppel-EP, bei. https://rockmeisterwerke.wordpress.com/2023/02/09/a-factory-sample-diverse/ In „Baader Meinhof“ ließen sie in den ersten 30 Sekunden ein Tonband mit einer deutschen Radio-Nachrichtensendung über den Selbstmord der beiden Anarchisten laufen. Nix Musik oder sowas. Nachrichtensprecher pur.
Für ihr erstes Album wechselten sie jedoch zu Rough Trade, da diese ihnen als Anzahlung ein Revox-Tonbandgerät anboten. So kam es zu „Mix-Up“ – eingespielt mit billigem Synthesizer, Gitarre, Bass, Trommel, meist monotoner Stimme und vor allem Tapes mit Geräuschen. Hämmer, Sägen, Druckluft, was einem eben in einer englischen Schwerindustriestadt so vor die Füße fällt. Später sollte man „Industrial“ dazu sagen. Das alles kommt verzerrt, gefiltert, verfremdet und durch ein billiges Echo-Gerät gejagt daher. Nichts an diesem Album erforderte Virtuosität am Instrument. Wie im Dada war alles archaisch, aber fremd.
Unerhört in jeder Hinsicht war diese Musik. Vor allem hatte man so etwas noch nie zuvor gehört. In der New Wave der Jahre 1979 bis 1982 war vieles – wie der Name sagte – neu, für die Ohren mehr oder weniger fremd. So radikal schwappte jedoch selbst in der „Neuen Welle“ nichts anderes über die Hörgewohnheiten des Publikums hinweg.
Einen einzigen konventionellen Song packten sie auf ihr erstes Album: „No Escape“ stammt aus 1966, geschrieben von der Proto-Punk Band The Seeds. Außer den Knochen ließen sie nichts übrig davon. Ohrwurm findet sich dementsprechend keiner auf diesem Album, aber auch nach mehr als 40 Jahren klingt es spannend, herausfordernd.
Ihre Kanten schliffen sich im Lauf der Zeit etwas ab. Mit „Red Mecca“, ihrem dritten Werk, nahmen sie 18 Monate später die Electronic Body Music (EBM) mit ihren kalten Sequencer-Beats vorweg. Musiker wie Martin Gore von Depeche Mode, Bernhard Sumner von New Order, Trent Reznor (Nine Inch Nails) oder Alain Jourgensen von Ministry beriefen sich später auf sie. In diesen neun Tracks – Songs wäre der falsche Ausdruck – wurde die radikale Basis für all diese Musik gelegt.
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