Montag, 28. August 2023

The Buzzards - Jellied Eels To Record Deals

 

The (Leyton) Buzzards – Jellied Eels To Record Deals

Chrysalis 1979

Es war nicht alles reine Lehre, was in den Jahren 1977 bis 1979 von den Plattenlabels als Punk vermarktet wurde. Selbst die Lieblingsband des BBC-Punk Paten John Peel, die Untertones, waren zu 50 Prozent Pop im besten Sinn des Wortes. Manchmal schnitten sich auch nur die Pub-Rock-Bands die Haare kurz, schrieben ein paar schnelle Songs und wurden als Punk vermarktet.

Die Leyton Buzzards, benannt nach dem Londoner Vorort Leighton, gingen nicht einmal zum Friseur und blieben bei ihren Teddys und Vokuhilas. Sie nahmen aber – wie The Clash oder The Ruts – gerne Reggae-Einflüsse in ihren Pub-Rock auf.

So ein wenig auf modern gebürstet gewannen sie einen „Battle of the Bands“-Wettbewerb der BBC und erhielten als Gewinn einen Plattenvertrag mit Chrysalis. Die hatten aber bisher ihr Geld eher mit Procol Harum, Supertramp oder Ten Years After gemacht. Street Credibility und Insight-Kenntnisse der Szene sahen anders aus. Die erste Single, „Saturday Night beneath the Plastic Palm Trees“, erhielt dennoch von Tony Parsons im NME den Titel „Single of the Week“ und schaffte es auf Platz 53 der britischen Charts.

Die Band strich die Herkunftsbezeichnung „Leyton“ in ihrem Namen und lieferte das ganze Album nach. Die 17 Tracks sind nicht einheitlich und definitiv kein Hardcore-Punk. Es hört sich an wie ein exzellenter Set einer Pub-Rock-Band: Einige Uptempo-Kracher, die als Punk-Pop durchgehen können, etliche Reggae-lastige Titel, die Zeit zum Verschnaufen und Bier trinken geben, und alles mit ein wenig Humor und viel guter Laune durchtränkt. Die Schnittmenge von Ian Dury, The Police und The Jam, jeweils erstes Album und dritte Runde Bier, falls man Referenzen will. Eingängig und kurzweilig bis zum Anschlag. Da darf aber auch mal der Gitarrist ein Solo rausquetschen und manchmal singen die Band-Mitglieder Harmony Vocals. No-Gos im reinen Punk und so blieb es ihr einziges Album.

Cabaret Voltaire - Mix-Up

 

Cabaret Voltaire – „Mix-Up“

Rough Trade 1979

Wenn man in Sheffield 1973 eine Band gründet und sich nach der Geburtsstätte des Dadaismus in Zürich benennt, dann ist man anders. Das Trio begann mit Heimorgel, Tonbandschleifen und selbst gebauten Oszillatoren zu experimentieren. Ihre Sound-Collagen führten sie unter anderem in öffentlichen Toiletten oder über den Lautsprecher eines fahrenden Kleinbusses auf. Dies bescherte einem Bandmitglied einen Krankenhausaufenthalt, da das unfreiwillige Publikum die ungewohnten Töne wenig goutierte, aber nach einigen Jahren erlangten sie aufgrund ihrer konsequenten Haltung auch ein wenig Respekt in der neu aufkommenden Punk-Bewegung.

Sie steuerten auf dem neu gegründeten Factory Label zwei Tracks zur ersten Veröffentlichung, einer Doppel-EP, bei. https://rockmeisterwerke.wordpress.com/2023/02/09/a-factory-sample-diverse/  In „Baader Meinhof“ ließen sie in den ersten 30 Sekunden ein Tonband mit einer deutschen Radio-Nachrichtensendung über den Selbstmord der beiden Anarchisten laufen. Nix Musik oder sowas. Nachrichtensprecher pur.

Für ihr erstes Album wechselten sie jedoch zu Rough Trade, da diese ihnen als Anzahlung ein Revox-Tonbandgerät anboten. So kam es zu „Mix-Up“ – eingespielt mit billigem Synthesizer, Gitarre, Bass, Trommel, meist monotoner Stimme und vor allem Tapes mit Geräuschen. Hämmer, Sägen, Druckluft, was einem eben in einer englischen Schwerindustriestadt so vor die Füße fällt. Später sollte man „Industrial“ dazu sagen. Das alles kommt verzerrt, gefiltert, verfremdet und durch ein billiges Echo-Gerät gejagt daher. Nichts an diesem Album erforderte Virtuosität am Instrument. Wie im Dada war alles archaisch, aber fremd.

Unerhört in jeder Hinsicht war diese Musik. Vor allem hatte man so etwas noch nie zuvor gehört. In der New Wave der Jahre 1979 bis 1982 war vieles – wie der Name sagte – neu, für die Ohren mehr oder weniger fremd. So radikal schwappte jedoch selbst in der „Neuen Welle“ nichts anderes über die Hörgewohnheiten des Publikums hinweg.

Einen einzigen konventionellen Song packten sie auf ihr erstes Album: „No Escape“ stammt aus 1966, geschrieben von der Proto-Punk Band The Seeds. Außer den Knochen ließen sie nichts übrig davon. Ohrwurm findet sich dementsprechend keiner auf diesem Album, aber auch nach mehr als 40 Jahren klingt es spannend, herausfordernd.

Ihre Kanten schliffen sich im Lauf der Zeit etwas ab. Mit „Red  Mecca“, ihrem dritten Werk, nahmen sie 18 Monate später die Electronic Body Music (EBM) mit ihren kalten Sequencer-Beats vorweg. Musiker wie Martin Gore von Depeche Mode, Bernhard Sumner von New Order, Trent Reznor (Nine Inch Nails) oder Alain Jourgensen von Ministry beriefen sich später auf sie. In diesen neun Tracks – Songs wäre der falsche Ausdruck – wurde die radikale Basis für all diese Musik gelegt.

Freitag, 11. August 2023

John Cale - Sabotage/Live

 

John Cale – Sabotage/Live

Spy Records 1979

John Cale ist als Gründungsmitglied von Velvet Underground natürlich kein Unbekannter. „Sabotage“ ist jedoch ein – völlig zu Unrecht – kaum beachtetes Album in seinen bisher 28 veröffentlichten Werken. Die zahlreichen Soundtracks nicht eingerechnet. Und es ist in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Platte. Zum einen ist es ein Live-Album – aber mit ausnahmslos von ihm vorher noch nicht veröffentlichten Songs.

Eingespielt wurde es im Juni 1979 im legendären CBGB-Club in New York City. Cale spielt dabei mit einer neu zusammengestellten Band, mit der er nur auf diesem Album zusammengearbeitet hat. Sein feines Händchen für Talente – er hat immerhin die Erstlingswerke der Stooges, von Jonathan Richman oder Patti Smith produziert – zeigt sich auch hier in der Auswahl seiner Bandmitglieder, doch dazu später.

Der Waliser hat im Lauf seiner mittlerweile fast 60-jährigen Karriere schon viele stilistische Haken geschlagen: Von der klassiknahen Minimal-Music auf „Church of Anthrax“ über feinziselierten Barock-Pop auf „Paris 1919“ bis zu atmosphärischen Collagen auf seinen Soundtracks reicht seine Bandbreite. Und noch viel weiter.

Auf „Sabotage“ zeigt er vor allem die wütende Seite seiner Persönlichkeit. Er beginnt mit einer beklemmend aktuellen Abrechnung mit Söldner-Truppen:  

“Mercenaries are useless, disunited, unfaithful

They have nothing more to keep them in a battle other than a meager wage.”

Und später wird es fast prophetisch:

“Let’s go to Moscow, let’s go to Moscow
Let’s go, let’s go to Moscow
Fight a backdoor to the Kremlin
Push it down and walk on in.”

Passenderweise zeigt er sich am Cover vor dem Hintergrund einer Atomexplosion. Im Titeltrack attackiert er dann die Medien; immerhin ist er Brite:

“Read and destroy everything you read in the press
Read and destroy everything you read in books
It’s a waste of time
It’s a waste of energy
It’s a waste of paper
And it’s a waste of ink
Whatever you read in the books, leave it there
The word for it is:
Sabotage, sabotage”

Der intellektuelle Schöngeist zeigt also wieder einmal, das fallweise „Fear“ sein „best friend“ ist. Dementsprechend klingt der Rock auf „Sabotage“ manchmal wütend, manchmal brutal, jedenfalls eindringlich wie selten. Dazu trägt auch sein Bassist maßgeblich bei: George Scott holte er von James Chance + The Contortions und dieser spielt seine vier Seiten brutal-dröhnend wie kaum einmal jemand in der Rock-Geschichte. Wie ein tieffliegender B-52-Bomber brummt er beispielsweise durch Rufus Thomas´“Walkin´ the Dog“. Leider spritzte sich dieses Ausnahmetalent ein Jahr später eine Überdosis, ansonsten hätte er die Standards für Bassspiel im Independent-Rock endgültig festgesetzt.

„Sabotage“ ist sein bedrohlichstes Album, aber es wäre nicht John Cale, wenn er nicht eine seiner zartesten Melodien einbauen würde: „Only Time will tell“ singt er nicht einmal selbst, sondern überlässt seiner Background-Sängerin Deerfrance das Mikrofon, während er selbst an die Viola wechselt. Doch die bezaubernde Melodie kontrastiert er mit: „The gentle pain of falling rain / I’ll hide behind to kill/ Behind the frozen mask and ask if time will tell: Is it heaven or hell?”

Diese fröhliche Weltsicht offenbart er auch im abschließenden „Chorale“: “And the cold of the living /And the cold of the dead/ Hand in hand from the beginning to the end.“

Mittwoch, 2. August 2023

Circus of Power - Magic & Madness

 

Circus of Power – Magic & Madness

Columbia Records 1993

Wir schreiben das Jahr 1993: U2 beginnen auf „Zooropa“ mit Elektronik zu experimentieren, Radiohead melden sich mit ihrem Debut für die nächsten zwei Jahrzehnte im Independent an, Tupac, Snoop Dogg und Wu-Tang-Clan etablieren endgültig den Hip-Hop und Nirvana, Pearl Jam und die Smashing Pumpkins räumen im schweren Fach ab.

Circus of Power lieferten seit 1987 zwei Alben mit knochentrockenem Hard-Rock und einer gelegentlichen Verbeugung vor dem Blues-Rock ab. 1993 reagieren sie auf den Zeitgeist, indem sie … nun, eine scharfe Slide-Gitarre in ihren Sound integrieren. Es gibt Bands, die beständig höchste Qualität abliefern, sich selbst treu bleiben und dennoch – oder vielleicht auch gerade deshalb – weitgehend unbemerkt bleiben. Das sind die idealen Kandidaten für diesen Blog.

Es existierten bereits zwei erstklassige Alben der fünf New Yorker vor „Magic & Madness“. Neu sind lediglich die Slide-Guitar, ein Hauch Psychedelik und eine knackige, druckvolle Produktion. Das Songwriting war immer hervorragend. Muss man es extra erwähnen, dass sie mit ihrem besten Album völlig untergingen und sich anschließend mangels Plattenvertrag für ein Vierteljahrhundert auflösten?

Der Blick zurück auf „M&M“ lohnt umso mehr. Großartige Riffs tragen die Songs, die Rhythmus-Gitarre treibt nach vorne und die Slide schneidet gelegentlich hinein wie ein heißes Messer in die Butter. Lediglich am vierten Track, „Circles“ schalten sie für die in diesem Fach gebräuchliche Ballade zurück, ansonsten bleibt das Gaspedal meist durchgedrückt. Der für mich beste Titel kommt erst auf Platz 8 der Tracklist. Ein paar Bongos (!) ertönen, doch dann kracht das mächtige Riff hinein. „I guess it´s time to call Mama Tequila“. Und genau wie der mexikanische Agaven-Brand fährt dieser Song voll hinein. So wie das ganze Album.

Ambrosia - s/t

  Ambrosia – s/t 20 th  Century Records 1975 Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Nu...