Donnerstag, 16. November 2023

Henry Badowski - Life is grand ...

 

Henry Badowski – Life is grand …

A&M Records 1981

„Charmant“ ist eine eher seltene Zuschreibung für ein Werk der Rockmusik, doch bei Henry Badowski ist es ein Attribut, das sich förmlich aufdrängt. Selten versprüht ein Album so viel feinen Witz, unaufdringliche Originalität und subtile Fröhlichkeit.  „Life is grand“, heißt der namensgebende, letzte Track auf der ersten Seite – bezeichnenderweise ein Instrumentaltitel – und ebendiese Atmosphäre verbreitet diese Musik.

Das Album ist ein Kind der frühen 80er Jahre und in Teilen der Instrumentierung hört man das auch – vom damals plötzlich erschwinglichen Taschensynthesizer bis zur elektronischen Percussion. Doch die Songs sind zeitlos – einfach intelligente, zurückhaltende Popmusik in der feinen englischen Machart. Wie die späten Madness oder wie Jona Lewie in seinen besseren Momenten und ein Hauch von Kevin Ayers ist ebenfalls zu spüren. Eingängig, ohne sich jemals abzunutzen, vertraut und dennoch individuell.

Badowskis Werdegang führte nicht unbedingt geradlinig zu dieser Musik. Er begann in diversen Punk-Bands, unter anderem als Bassist bei Chelsea, obwohl er nach eigenen Angaben vorher kaum eine Bassgitarre in den Händen gehalten hatte. Daraufhin spielte er Orgel bei Wreckless Eric und wurde von Damned-Bassist Captain Sensible in das Kurzzeit-Projekt The Doomed geholt, weil Damned-Gitarrist Brian James samt der Namensrechte verschwunden war. Badowski ersetzte dabei niemand Geringeren als Lemmy Kilmister, der später als Sänger und Bassist von Motörhead verlässlich für 25% des jährlichen Umsatzes von Jack Daniels-Whisky verantwortlich war.

Mit diesen Vorkenntnissen überrascht es nicht mehr wirklich, dass Henry Badowski auf seinem ersten Album nicht nur sang, sondern auch gleich Keyboards, Bassgitarre, Percussion und Saxofon übernahm. Nur die Gitarre und fallweise die Geige übergab er in fremde Hände.

Captain Sensible beschrieb Badowski später als „Genie“, kein Wunder also in der Mechanik der Musikindustrie, dass „Life is grand“ das einzige Album des mittlerweile 65-jährigen Engländers blieb.

Mittwoch, 1. November 2023

Blancmange - Mange Tout

 

Blancmange – Mange Tout

London Records 1984

Im Synthie-Pop der frühen 80er-Jahre brauchte man keine große Band für einen vollen Sound: Soft Cell waren ebenso ein Duo wie OMD oder die späteren DAF in Deutschland. Auch Blancmange wurde als Duo gegründet: Neil Arthur war für den Gesang und fallweise die Klarinette zuständig, Stephen Luscombe für die Keyboards.

Wie die befreundeten Depeche Mode experimentierten auch Blancmange, benannt nach einem französischen Pudding, mit ihrem Sound.  Was bei Depeche Mode dann in Richtung geschlagene Metallteile ging, fiel bei Blancmange etwas konventioneller aus. Das erste Album „Happy Families“ lag noch strikt im Synthie-Sound, doch zwei Jahre später wollten sie auf „Mange Tout“ das grosse Buffet auftischen. So kommen neben Streichern und Bläsern auch die indischen Instrumente Sitar, Santoor, Tabla und Madal zum Einsatz. Das ergibt alles einen reichen, vielfältigen Sound, der keine Monotonie zulässt. Ein wenig „quirky“, wie das auf Englisch heißt. Also verschroben, aber im positiven Sinn.

Verwandte Bands wie OMD oder Human League schafften es zu Weltkarrieren, Blancmange blieben – bestenfalls – eine im UK halbwegs erfolgreiche Band. Der naheliegende Grund wäre, dass die Qualität der Songs nicht mithalten konnte. Doch Titel wie „Don´t tell me“, „Blind Vision“ oder „That´s love that it is”, alle von der ersten Seite dieser LP, haben die gleiche Qualität wie Highlights von Depeche Mode oder den Thompson Twins. Und Neil Arthur singt auch noch ähnlich wie Dave Gahan von Depeche Mode.  Sogar ein clever gemachtes Abba-Cover packten sie mit „The Day before you came” an den Schluss der zweiten Seite. Dem Original für mich deutlich überlegen, nur damit das ausgesprochen ist.

Alle Zutaten für den internationalen Erfolg waren also vorhanden, doch nach dem schlechteren dritten Album war – zumindest für fast 20 Jahre – Schluss, bevor sich Sänger Neil Arthur die Rente aufbessern wollte und sich selbst unter dem alten Namen reformierte. Noch erfolgloser natürlich.

Zumindest Moby, sonst nicht der Musiker meiner Wahl, scheint meiner Meinung zu sein – er schrieb auf Twitter: “Listening to Blancmange obsessively. Probably the most under-rated electronic act of all time.” Und wenn er Recht hat, hat er Recht, auch wenn er Moby ist.

The Blue Nile - A walk across the rooftops

 

The Blue Nile – A Walk Across The Rooftops

Linn Records 1983

Es ist vordergründig wenig Außergewöhnliches an dieser Musik. Außer der Qualität der sieben Songs und der Atmosphäre, die sie schaffen. Beide sind so phänomenal, dass dieses Album doch einzigartig wird.

Es ist keine Musik zum Nebenbei-Hören, keine für das Autoradio oder während man durch die Straßen der Stadt geht. Es ist Musik für einen ruhigen, leicht melancholischen Abend, an dem man diesen Tönen die volle Aufmerksamkeit schenken kann. Sie fordert diese auch ein – wie ein voller Rotwein oder ein Single Malt, der keine Ablenkung duldet, sondern alle Sinneswahrnehmung an sich reißt.

Diese Aufmerksamkeit dankt einen diese Musik mit beispielloser Atmosphäre, mit vorher ungehörten Nuancen. Das alles ist ein ruhiger, langer Fluss und dennoch genießt man jeden Ausblick, jede Biegung. Pure Schönheit, mit einer kräftigen Prise Schwermut versetzt.

Drei junge Schotten haben zeitlose und altersweise Schönheit geschaffen. Keiner von ihnen griff auf eine musikalische Ausbildung zurück, als sie dieses Debut-Album einspielten. Sie kompensierten das durch Kreativität und viele 16-Stunden-Tage im Studio. Der schottische Nobel-Hi-Fi-Anbieter Linn gründete ein eigenes Label, um diese Musik herausbringen zu können.

Elektronik, Ambient, Blue-Eyed-Soul, ein wenig 80er Synth-Pop. Diese Labels lassen sich finden, wenn man unbedingt suchen will, und doch passen sie nicht. Keine Drums, kaum Gitarre. Ein paar gezupfte Streichinstrumente hier, ein sparsames Klavier dort, in der Mitte ein ungewöhnlicher Bass und ein geräuschesuchender Synthesizer. Dazwischen viel Platz und darüber Paul Buchanans warme Stimme, die nach so viel mehr Lebenserfahrung klingt als er mit 27 Jahren haben konnte.

Man weiß nicht, wo man diese Band in seine Plattensammlung einreihen soll. Bei mir steht sie zwischen This Heat und Beth Gibbons, aber eigentlich bräuchte sie links und rechts einige Zentimeter Respektabstand.  Peter Gabriel hat angeblich dieses Album schachtelweise geordert, um es an alle zu verschenken, die ihm etwas bedeuteten.

Blümchen Blau - Wie die Tiere

 

Blümchen Blau – Wie die Tiere

Atom 1982

Ein wenig Lokalpatriotismus sei – kurz vor dem Abschluss der 100 Meisterwerke – erlaubt. Die Zeiten, in denen Österreich die Musikszene dominierte, sind spätestens seit Gustav Mahler und Franz Liszt vorbei, und auch „Rock me Amadeus“, Falcos einziger Nummer-Eins-Hit in den USA, ist bald 40 Jahre alt.

Beim Rest leidet die internationale Vermarktbarkeit auch oft am Einsatz der deutschen Sprache, die von Till Lindemann mit rollendem „Rrrr“ intoniert werden muss, um von New York bis Tokio massentauglich zu werden. Blümchen Blau kamen nicht einmal ansatzweise in die Verlegenheit, sich mit den Kriterien für internationalen Erfolg beschäftigen zu müssen. Sie waren eine Band des Jahres 1982, eine Band der Neuen Deutschen Welle. Allerdings jeweils eine der besten.

Im Sound finden sich Ska-Rhythmen, billige Casio-Töne und Gang of Four-Gitarren, also lauter wohlbekannte Zutaten der NDW, und dennoch klingt es immer eigenständig, originell. Ein Teil liegt an den Kompositionen, die eingängig und schräg mühelos verschmelzen. Der zweite Teil liegt am Gesang von Josef Fencs, der die Leise-Laut-Dynamik des Grunge ein wenig vorweg nahm, und sie mit der Exaltiertheit einer Nina Hagen kombinierte. Dazu passten Texte wie „Wir bauen ein Haus. Und fällt der Strom aus? Na, lass den Strom doch fallen. Ja, solange über uns der Himmel, kann uns nichts geschehen.“ Sätze von Asterix ´scher Weisheit.

Blümchen Blau wurde 1981 gegründet und die erste Single, eine Up-Tempo- Version von Hans Albers´ “Flieger“, war gleich erfolgreich genug, dass ein Album folgen sollte. 12 Songs, ohne „Flieger“, aber mit „Tiere“, „Wir spielen“ oder „Weihnachtsmann“ finden sich darauf einige mit vergleichbarem Format. Abgemischt von Pyrolator, dem musikalischem Mastermind der deutschen NDW-Band „Der Plan“. Konzerte von Norddeutschland bis zur Schweiz folgen und ein Film mit den Töchtern von Tony Curtis und Angelika Kaufmann wird gedreht.

Doch das Album bleibt in den Plattenläden liegen und wenige Monate später sind Blümchen Blau Geschichte. 15 Minutes of Fame, wie sie laut Andy Warhol jedem zustehen. In diesem Fall sind sie eindeutig zu kurz ausgefallen.

The Boys - Alternative Chartbusters

 

The Boys – Alternative Chartbusters

NEMS 1978

In einem Ranking der originellsten Bandnamen hätten sie keinen der vorderen Plätze belegt, aber ansonsten machten The Boys eigentlich alles richtig. Sie waren in der ersten Welle des Punks mit dabei, denn Bandleader Matt Dangerfield verwandelte 1975 das Kellergeschoss seiner Londoner Mietwohnung in ein Aufnahmestudio. The Damned, The Clash oder die Sex Pistols nahmen dort ihre ersten Songs auf, und Dangerfield zog mit eigener Band mit.

Die ersten Clubauftritte waren sehr erfolgreich: Als sie im Oktober 1976 im Hope + Anchor debütierten, standen unter anderem Joe Strummer, Mick Jones und Billy Idol im begeisterten Publikum. So wurden sie zur ersten Punkband mit einem Vertrag für ein ganzes Album – noch vor The Damned. Sie spielten es in zwei Tagen ein, doch die kleine Plattenfirma NEMS verschlief das Ganze, und so kamen sie erst auf den Markt, als bereits jede Menge erster Punk-Alben den Platz in den Läden verstellten.

Die zweite Single „First Time“ war jedoch so gut, dass sie von „Sounds“ zur Single der Woche gekürt wurde, und John Peel die Band für eine BBC-Session einlud. Der Song stieg prompt in die Charts ein, doch Elvis Presley starb in derselben Woche und die zu RCA gehörende Plattenfirma musste alle Produktions- und Vermarktungsressourcen dem „King of Rock´n´Roll“ zur Verfügung stellen. Dabei hätte sich „First Time“ einen Platz unter den besten 100 Rocksongs aller Zeiten verdient und steht auf einer Stufe mit John Peels ewigem Lieblingslied „Teenage Kicks“ von den Undertones.

In der britischen Musikpresse wurden The Boys zunehmend als „Beatles des Punks“ bezeichnet und – bei allem Hinken solcher Vergleiche – sie schrieben tatsächlich unheimlich zündende, eingängige Songs. Selbst sahen sie sich eigentlich als Pop und nicht als Punk. Auf ihrem zweiten Album „Alternative Chartbusters“ betonten sie folgerichtig den Pop-Aspekt in ihrer Musik.

„Brickfield Nights“, ein weiterer Klassesong für die Ewigkeit, eröffnet das Album mit einer Produktion, die näher an Phil Spector als an Malcom McLaren liegt. Sie nahmen damit und mit zwei, drei weiteren Tracks ein wenig das Ramones-Album „End of the Century“ vorweg, das direkt von Spector produziert wurde. Tatsächlich spielten sie sogar als Vorband auf der UK-Tour der New Yorker Punk-Überväter. Im vierten Song übertrieben sie die stilistische Loslösung vom reinen Punk mit einem Cover der Latino-Nummer „Sway“ samt Mariachi-Bläser, doch ansonsten ist „Alternative Chartbusters“ eine Power-Pop-Perle, wie es nur wenige gibt.

Mit der Qualität des Albums im Gepäck gingen sie auf Europa-Tour, um es zu promoten. Alleine, die Plattenfirma verschlief die Termine abermals und brachte das Album nicht rechtzeitig zur Tour auf den Markt. Ihr ihnen zweifellos zustehender Platz in einer Reihe mit den Punk-Pop Grössen The Untertones und Buzzcocks blieb den Boys verwehrt. Paul Weller brachte einen „The Boys“-Sticker auf seiner Rickenbacker an, Die Toten Hosen ehrten sie noch mit einem Cover von „First Time“ auf „Kreuzzug ins Glück“ und einem von „Brickfield Nights“ auf „Learning English“. Auch eine japanische Band namens Thee Michelle Gun Elephant war mit einem Boys-Cover so erfolgreich, dass die Boys gegen Ende der 1990er-Jahre mehr als 30.000 Alben alleine in Japan verkauften, doch es war zu spät für die „Beatles des Punks“.

Ambrosia - s/t

  Ambrosia – s/t 20 th  Century Records 1975 Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Nu...