Dienstag, 30. August 2022

Chrisma - Chinese Restaurant

 

Krisma / Chrisma – Chinese Restaurant

Polydor 1977

Neben Punk etablierte sich 1977 im Rock noch eine kleine Nebenfahrbahn mit Nutzung des bei Emerson, Lake + Palmer oder Yes schwer angefeindeten Synthesizers. Man bediente sich bei den deutschen Electro-Pop-Pionieren Kraftwerk und ging mit der Unbekümmertheit der Punks an die Sache heran. Das US-Duo Suicide waren die ersten, die in diese schmale Fahrbahn hineinfuhren, etwas später kamen in England Acts wie Human League oder Tubeway Army hinzu.

In Italien dominierten damals Umberto Tozzi mit „Ti amo“ oder Lucio Battisti die Charts, doch ein Ehepaar, das aus den ersten Buchstaben ihrer Vornamen Christina und Maurizio den Bandnamen Chrisma formte, bog ebenfalls auf diese schmale Rumpelpiste ein. Das erste Album „Chinese Restaurant“ stand noch ein wenig unschlüssig zwischen Krautrock, New Wave und Filmmusik für B-Movies, doch gerade darin liegt sein besonderer Reiz.

Produziert und musikalisch ergänzt wurde es von Nico Papathanassiou, dem Bruder von Vangelis in dessen Londoner Studio. Ein Mitwirken von Vangelis selbst wird bis dato vermutet, aber nicht bestätigt. Das Album öffnet mit einem repetitiven, aber eingängigen Instrumental im Stil des Krautrock-Pioniere „Neu!“. Danach folgt „Black Silk Stocking“ mit erotisch aufgeladenen Vocals von Christina Moser und einem Soundmix aus Ultravox und Giorgio Moroder. Da darf dann auch die elektrische Gitarre schräg hineinfahren.

Der dritte Song „Lola“ setzt sich irgendwo in die weite Lücke zwischen den Eurythmics und dem Soundtrack zu „Cabaret“, gefolgt von „C-Rock“, das wie Kraftwerk auf Speed bei ersten Versuchen mit der E-Gitarre klingt. Auch beim Rest des Albums changiert alles zwischen nervösem Electro-Rock und billiger Filmmusik. Im Abschlusstrack greift man das anfängliche Instrumental nochmals auf, lässt es pompös anschwellen, um sich im Intermezzo bei allen zwischen Iggy Pop und der Queen zu bedanken, die man als Inspiration zu diesem Album sah.

Dem Erstlingswerk von Chrisma fehlt sicher eine gewisse Konsistenz, aber es passt perfekt in den Bruch zwischen den frühen 70ern mit Prog-Rock und Glam und der zweiten Hälfte mit New Wave und Synthie-Pop a la Depeche Mode.

Chrisma spielten noch sieben weitere Alben ein, keines aber mehr so spannend wie ihr Erstlingswerk. Beim dritten, poppigeren Werk namens „Cathode Mamma“ adaptierten sie den Bandnamen auf "Krisma" und bekamen Verstärkung durch einen deutschen Musiker namens Hans Zimmer. Dieser sollte später Multi-Millionär mit seinen Soundtracks zu „König der Löwen“, „Gladiator“ oder „Dune“ werden.

Freitag, 26. August 2022

Kleenex/LiLiPUT

 

Kleenex/LiLiPUT – Ain´t you + You

Rough Trade 1978/ Kill Rock Stars 2001

Es funktionierte sogar in der Schweiz. Zwei Kunststudentinnen hörten ein Konzert der Sex Pistols und gründeten daraufhin eine Band. Wie im Punk üblich war es ihr erster Kontakt mit Musikinstrumenten. Das war Anfang 1978. Im Mai gaben sie ihr erstes Konzert als reine Frauenband. Die Gitarristin hatte wenigstens zuvor Saxofon gespielt, ein jedoch für den Punk nahezu undenkbares Instrument (ja – es gibt mit Lora Logic ein Gegenbeispiel). Als Name wurde Kleenex gewählt. Ein perfekter Punk-Name: Jedem geläufig, einmal zu gebrauchen und dann wegzuwerfen.

In der Schweiz erschien eine erste EP. John Peel, der englische Radio-Titan, spielte sie häufig, und Rough Trade brachte für das UK hintereinander zwei Singles heraus. Vier perfekte Songs: Simpel, wirksam, absolut originell und trotzdem eingängig. Es war Punk, da man nur Ideen und Enthusiasmus einbrachte, aber keine technische Finesse im Spiel. Man merkte aber auch die Herkunft der Kunststudentinnen aus Dadaismus und Futurismus – sowohl in der Musik als auch in den Texten und den Kostümen. Man ging unbekümmert und spielerisch an die Aufgabe, manchmal sogar fröhlich. Das Tempo folgte nicht der Punk-Maxime: Je schneller, desto besser. Klaudia Schiff ergänzte die Vocals durch in Mädchenstimme gerufene „Iiii, iii“ oder „Üüh“. Letzterer Ausruf wurde sogar zum Titel der zweiten Single.

Den spielerischen Zugang sieht man auch in „Hedi´s head“. Der Titel setzt sich aus den Gitarrenakkorden H/E/Dis/, H/E/A/D zusammen. Der Text besteht lediglich aus „Hedi´s head is so dread, Hedi is oh so sad“ und als Schweizerinnen singen sie natürlich „Heidi“. Ein wunderbares Beispiel, wie wenig es braucht, um einen großartigen Song zu schaffen, der sich auch nach 45 Jahren noch immer frisch anhört.

Ende 1979 wurden sie vom Kosmetiktücher-Produzenten Kimberly-Clark auf Unterlassung geklagt und benannten sich in LiLiPUT um. Wegen der chronischen Erfolglosigkeit kam es zu zahlreichen Umbesetzungen und die Musik wurde zunehmend weniger spannend, weniger packend, wenngleich noch immer eigenständig und originell (die 2001 erschienene CD-Anthologie belegt alle Phasen von 1978 bis 1983).

Trotz der Erfolglosigkeit sagte Kurt Cobain etwa 10 Jahre später, in seinen „50 favourite albums af all time“ sei ein Platz für irgendetwas von Kleenex zu reservieren. Kommende Frauenbands wie Sleater-Kinney oder die japanischen Shonen Knife beriefen sich auf Kleenex und Kim Gordon von Sonic Youth schrieb: „Their records sounded fresh and modern and mirrored my desire to make something, that was not as corny as LA punk, and more vital than post-conceptional art or post-modern painting. When I listen to Kleenex now, I can´t think of a single group that has come close to achieving the same thing.”

Mittwoch, 17. August 2022

The Timelords / The KLF - Doctorin´the Tardis

 

TVT Records 1988

Auch Weltstars haben oft nicht gleich als solche begonnen. Bevor KLF 1989 und 1990 die weltweiten Charts mit Hits wie „Justified and Ancient“ oder „America: What time is love“ stürmten, versuchten sie sich unter dem Namen „Justified Ancients of Mu Mu“ – benannt nach einer Gruppierung aus der der Kult-Trilogie „Illuminatus!“.

Bereits zu Beginn kombinierten sie Dance- und House-Beats mit gesampelten Melodien konventioneller Hits – etwa von den Beatles oder Whitney Houston. Dann bedienten sie sich bei „Dancing Queen“ von ABBA und somit bei den Falschen, denn Bjorn und Benny verstehen überhaupt keinen Spaß, wenn es um ihr Geld geht. „Das Album „1987 – What the F..k is going on?“ wurde eingestampft beziehungsweise von den Künstlern selbst in der Nordsee versenkt.

Bill Drummond und Jimmy Cauty, die beiden Mitglieder der JAMS, machten dennoch mit ihrer Methode weiter. Sie wollten es sogar noch etwas kommerzieller angehen. Unter dem Namen „ The Timelords“ bedienten sie sich bei der im UK kultisch verehrten TV-Serie „Doctor Who“. Sie klauten das musikalische Titelmotiv, die Identität des Doctors (ein „Timelord“ von der Herkunft her) und packten auch sein Telefonzellen-Raumschiff, die „Tardis“, in den Titel. Nachgeahmte Ausrufe der Daleks („Exterminate!“) komplettierten den Rip-Off der TV-Ikone.

Doch damit nicht genug: Drummond und Cauty komponierten daraus keinen Song, sondern bedienten sich zusätzlich bei Gary Glitters „Rock´n´Roll, Part Two“ und setzten noch die Sirene und den „Ah-Ah“-Chorus von Sweets „Blockbuster“ obendrauf. So hört sich „Doctorin´the Tardis“ auch an. Ein wunderbares Stück britischer Glam-Rock, das köstlich unterhält und in keiner Sekunde ernst gemeint ist. In ersten Interviews erklärten sie, damit nichts weniger als einen „Nummer-Eins-Hit“ angestrebt zu haben. Die britische Musik-Presse erklärte das Stück als „ranzig“, doch die Plattenkäufer schickten es – auf Nummer Eins.

Damit noch immer nicht genug: Drummond und Cauty machten sich über ihren eigenen Erfolg lustig und veröffentlichten „The Manual“ – ein ironisches und lesenswertes Büchlein, wie man einen Nummer-Eins-Hit fabrizieren kann, ohne selbst Ahnung von Musik zu haben. Man klaue einen bekannten Song, lege einen Dance-Beat darunter und füge ein paar Zeilen eigenen sinnlosen Text dazu. Den Rest lasse man die Studiomusiker erledigen, denn die seien meist absolute Profis. Sie sahen sogar voraus, dass bald kein Studio mehr nötig sein werde, denn dies könne man künftig mit japanischer Technik von zuhause aus erledigen. Propheten am Werk! Die österreichische Band „Edelweiss“ hielt sich übrigens exakt an „The Manual“ und verkaufte weltweit von „Bring me Edelweiss“ fünf Millionen Stück.

„Doctorin´the Tardis“ erschien zwei Jahre später noch als CD-Single mit fünf Tracks und 27 Minuten Laufzeit. Neben dem obligaten 12“-Mix und einer Instrumental-Fassung gibt es darauf auch eine Version mit echten Gary-Glitter-Vocals unter dem Titel „Gary joins the JAMS“. Eine frühe Instrumental-Fassung ihres späteren Welthits „What time is love“ komplettiert dieses wundervoll unterhaltsame Stück Musik.

https://www.youtube.com/watch?v=DsAVx0u9Cw4 
https://www.youtube.com/watch?v=IcsZAIHLoDE

Freitag, 12. August 2022

Ben Kweller - On My Way

 

ATO/RCA Records 2004

Sein Vater war musizierender Gemeindearzt in Greenville, Texas, und im Nebenhaus wohnte Nils Lofgren. Immerhin Mitglied der „Rock´n ´Roll Hall Of Fame“ und fallweise in den Bands von Bruce Springsteen und Neil Young tätig. Der kleine Ben begann also bereits mit 7 Jahren, mit dem Vater Musik zu machen, und mit neun hatten sich bereits etliche eigene Kompositionen in seinem Repertoire angesammelt.

Mit seiner Band „Radish“ wurde er ab 1994 (13 Jahre alt!) kurz als „Baby-Nirvana“ gehandelt, bevor er das Silverchair-Schicksal vermied und sich auf Solo-Pfade begab. Das erste Album, bei dem er fast alle Instrumente selbst spielte, klang noch ziemlich nach Weezer und Evan Dando mit seinen Lemonheads tourte mit ihm.

Ben nahm sich Zeit für die nächsten Songs und spielte sie alle mit Band live im Studio ein. Keine Kopfhörer, keine Overdubs. Als Inspiration für „On my way“ nannte er die Beatles, Pavement und Sonic Youth. Da hat dazwischen schon einiges Platz. An die Violent Femmes und Ben Folds, mit dem er später touren sollte, fühlt man sich zeitweise auch erinnert. So changiert das Album stilistisch auch zwischen geradlinigem Slacker-Rock, Power-Pop und Klavierballaden. Allerdings ohne auseinander zu fallen, ohne Brüche zu provozieren. Es hört sich flüssig an, alles eingängige, ausgereifte Songs ohne Füller.

Es ist auch das Songwriting, das dieses Album weit über damals übliche Standards hob, es zu einem kleinen Juwel macht. „On my way“, „I need you back“, “Down” oder „My apartment“ sind echte Ohrwürmer. Textlich dreht sich das meiste um Beziehungen – wenn auch manchmal der Zugang überraschend ist: „Show me all the rules, girl, I just want to get them wrong.“

Vier weitere Alben sollten in den nächsten eineinhalb Jahrzehnten noch folgen, doch keines wies mehr diese Dichte an exzellenten Songs und an unprätentiöser Frische auf. 2004 war er am zielsichersten „on his way“.

https://www.youtube.com/watch?v=AhP548sb0VI

https://youtu.be/AhP548sb0VI?t=7


Dienstag, 2. August 2022

La Perversita / s/t

 

Invisible Records 1979

Eine wie aus dem Grammophon kommende Männerstimme singt „Strawberry Fields Forever“ von den Beatles. Dann setzt die monotone Percussion ein, ein paar Fetzen zurückhaltender Gitarre und ein paar Elektronik-Tupfer kommen dazu. Ab und zu pfeift noch jemand das eingängige Riff der Beatles, aber außer zwei Zeilen Gesang und fünf Tönen Gepfeife bleibt nach der Dekonstruktion nichts mehr übrig vom Beatles-Hit, dafür erzählt eine französische Frauenstimme Dunkel-Erotisches.

Auch auf „5´ – Et Quelque De Bonheur“ läuft die Percussion monoton durch und die Gitarre müht sich durch ein Bar-Jazz-Riff. Dazu singt eine ferne Männerstimme etwas von „Be-bop-a-lula“ und die Frauenstimme flüstert Unanständiges auf Französisch.

Dreht man die Platte, wird „Satisfaction“ von den Stones zerlegt und mit viel mehr Erotik als bei Mick Jagger neu zusammengesetzt.  Am Ende der B-Seite schwillt ein morbid-monotoner New-Wave-Sound an, der erstmals auch das Wort „Rock“ rechtfertigt. Dazu erzählt die weibliche Stimme, Jeanne Foly, von „La Soupeuse“ – der „Suppenmacherin“. Es braucht nicht viel Fantasie und Französisch-Kenntnisse, um den wahren Inhalt zu erahnen.

„La Perversita“ war ein Projekt von Hector Zazou nach seinen beiden ZNR-Alben. Später sollte der in Algerien geborene Franzose seine Werke irgendwo zwischen Erik Satie, Electronica und Weltmusik pendeln lassen. Dabei arbeitete er unter anderem mit bekannten Künstlern wie David Sylvian, Ryuichi Sakamoto oder Lisa Gerrard zusammen.

Auf diesem frühen Album mischt er – unter Mitwirkung des Künstlerkollektivs Bazooka und zweier Zeitungsjournalistinnen – experimentelle New-Wave-Elektronik mit Avantgarde-Klassik und kreuzt Dada und Pornografie. Der im Englischen gebräuchliche Ausdruck „Explicit Lyrics“ greift hier wohl zu kurz. In zwei Booklets ergänzt erotisch-politische Schwarz-Weiß-Kunst von Kiki  Picasso zu Themen wie „La Necrophage“ (die Aasfresserin) oder „La Zoophile“ (bei uns eher als Sodomie geläufig) das Gehörte.

Musikalisch sind das alles keine Ohrwürmer – nicht einmal die Beatles- und die Stones-Songs überleben diese Attacke. Das Ganze entwickelt aber eine faszinierend-hypnotische Atmosphäre mit dissonanten Einsprengseln. In einem Satz lässt es sich als nicht jugendfreie Mischung aus Serge Gainsbourg und den Residents zusammenfassen. Auch das Wort „Einzigartig“ verdient es mehr als fast alle anderen Alben.

Leider ist „La Perversita“ heute nicht mehr unter 150 Euro erhältlich, teilweise zahlt man sogar das Doppelte.

Ambrosia - s/t

  Ambrosia – s/t 20 th  Century Records 1975 Prog-Rock hatte 1975 für mich – mit 16 Jahren – einen schweren Stand. The Who zeichneten „By Nu...